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Spyri, Johanna: Heidi's Lehr- und Wanderjahre. Gotha, 1880.

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herantrat, um ihm guten Morgen zu sagen, schaute er ihm
fragend in's Gesicht: "Nun, was sagst du denn dazu,
Kleine?"

Heidi blickte verwundert zu ihm auf.

"Du weißt am Ende noch gar nichts", lachte Herr
Sesemann. "Nun, heut' gehst du heim, jetzt gleich."

"Heim?" wiederholte Heidi tonlos, und wurde schnee¬
weiß und eine kleine Weile konnte es gar keinen Athem
mehr holen, so stark wurde sein Herz von dem Eindruck
gepackt.

"Nun, willst du etwa Nichts wissen davon?" fragte
Herr Sesemann lächelnd.

"O ja, ich will schon", kam jetzt heraus, und nun war
Heidi dunkelroth geworden.

"Gut, gut", sagte Herr Sesemann ermunternd, indem
er sich setzte und Heidi winkte, dasselbe zu thun. "Und
nun tüchtig frühstücken und hernach in den Wagen und
fort."

Aber Heidi konnte keinen Bissen herunterbringen, wie
es sich auch zwingen wollte aus Gehorsam; es war in einem
Zustand von Aufregung, daß es gar nicht wußte, ob es
wache oder träume, und ob es vielleicht wieder auf einmal
erwachen und im Nachthemdchen an der Hausthür stehen
werde.

"Sebastian soll reichlich Proviant mitnehmen", rief Herr
Sesemann Fräulein Rottenmeier zu, die eben eintrat; "das

herantrat, um ihm guten Morgen zu ſagen, ſchaute er ihm
fragend in's Geſicht: „Nun, was ſagſt du denn dazu,
Kleine?“

Heidi blickte verwundert zu ihm auf.

„Du weißt am Ende noch gar nichts“, lachte Herr
Seſemann. „Nun, heut' gehſt du heim, jetzt gleich.“

„Heim?“ wiederholte Heidi tonlos, und wurde ſchnee¬
weiß und eine kleine Weile konnte es gar keinen Athem
mehr holen, ſo ſtark wurde ſein Herz von dem Eindruck
gepackt.

„Nun, willſt du etwa Nichts wiſſen davon?“ fragte
Herr Seſemann lächelnd.

„O ja, ich will ſchon“, kam jetzt heraus, und nun war
Heidi dunkelroth geworden.

„Gut, gut“, ſagte Herr Seſemann ermunternd, indem
er ſich ſetzte und Heidi winkte, dasſelbe zu thun. „Und
nun tüchtig frühſtücken und hernach in den Wagen und
fort.“

Aber Heidi konnte keinen Biſſen herunterbringen, wie
es ſich auch zwingen wollte aus Gehorſam; es war in einem
Zuſtand von Aufregung, daß es gar nicht wußte, ob es
wache oder träume, und ob es vielleicht wieder auf einmal
erwachen und im Nachthemdchen an der Hausthür ſtehen
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[199/0209] herantrat, um ihm guten Morgen zu ſagen, ſchaute er ihm fragend in's Geſicht: „Nun, was ſagſt du denn dazu, Kleine?“ Heidi blickte verwundert zu ihm auf. „Du weißt am Ende noch gar nichts“, lachte Herr Seſemann. „Nun, heut' gehſt du heim, jetzt gleich.“ „Heim?“ wiederholte Heidi tonlos, und wurde ſchnee¬ weiß und eine kleine Weile konnte es gar keinen Athem mehr holen, ſo ſtark wurde ſein Herz von dem Eindruck gepackt. „Nun, willſt du etwa Nichts wiſſen davon?“ fragte Herr Seſemann lächelnd. „O ja, ich will ſchon“, kam jetzt heraus, und nun war Heidi dunkelroth geworden. „Gut, gut“, ſagte Herr Seſemann ermunternd, indem er ſich ſetzte und Heidi winkte, dasſelbe zu thun. „Und nun tüchtig frühſtücken und hernach in den Wagen und fort.“ Aber Heidi konnte keinen Biſſen herunterbringen, wie es ſich auch zwingen wollte aus Gehorſam; es war in einem Zuſtand von Aufregung, daß es gar nicht wußte, ob es wache oder träume, und ob es vielleicht wieder auf einmal erwachen und im Nachthemdchen an der Hausthür ſtehen werde. „Sebaſtian ſoll reichlich Proviant mitnehmen“, rief Herr Seſemann Fräulein Rottenmeier zu, die eben eintrat; „das

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Zitationshilfe: Spyri, Johanna: Heidi's Lehr- und Wanderjahre. Gotha, 1880, S. 199. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spyri_heidi_1880/209>, abgerufen am 27.04.2024.