Spyri, Johanna: Heidi's Lehr- und Wanderjahre. Gotha, 1880.so hatte es augenblicklich Alles vor Augen, was daheim So ging eine lange Zeit dahin. Heidi wußte gar nie, ſo hatte es augenblicklich Alles vor Augen, was daheim So ging eine lange Zeit dahin. Heidi wußte gar nie, <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0183" n="173"/> ſo hatte es augenblicklich Alles vor Augen, was daheim<lb/> war, und nur ganz leiſe weinte es dann vor Sehnſucht in<lb/> ſein Kiſſen hinein, ſo daß es gar Niemand hören konnte.</p><lb/> <p>So ging eine lange Zeit dahin. Heidi wußte gar nie,<lb/> ob es Sommer oder Winter ſei, denn die Mauern und<lb/> Fenſter, die es aus allen Fenſtern des Hauſes Seſemann er¬<lb/> blickte, ſahen immer gleich aus, und hinaus kam es nur,<lb/> wenn es Klara beſonders gut ging und eine Ausfahrt im<lb/> Wagen mit ihr gemacht werden konnte, die aber immer<lb/> ſehr kurz war, denn Klara konnte nicht vertragen, lang zu<lb/> fahren. So kam man kaum aus den Mauern und Stein¬<lb/> ſtraßen heraus, ſondern kehrte gewöhnlich vorher wieder um<lb/> und fuhr immerfort durch große, ſchöne Straßen, wo Häuſer<lb/> und Menſchen in Fülle zu ſehen waren, aber nicht Gras<lb/> und Blumen, keine Tannen und keine Berge, und Heidi's<lb/> Verlangen nach dem Anblick der ſchönen, gewohnten Dinge<lb/> ſteigerte ſich mit jedem Tage mehr, ſo daß es jetzt nur den<lb/> Namen eines dieſer Erinnerung-weckenden Worte zu leſen<lb/> brauchte, ſo war ſchon ein Ausbruch des Schmerzes nahe,<lb/> und Heidi hatte mit aller Gewalt dagegen zu ringen. So<lb/> waren Herbſt und Winter vergangen, und ſchon blendete<lb/> die Sonne wieder ſo ſtark auf die weißen Mauern am<lb/> Hauſe gegenüber, daß Heidi ahnte, nun ſei die Zeit nahe,<lb/> da der Peter wieder zur Alm führe mit den Gaißen, da die<lb/> goldenen Cyſtusröschen glitzerten droben im Sonnenſchein<lb/> und allabendlich ringsum alle Berge im Feuer ſtänden.<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [173/0183]
ſo hatte es augenblicklich Alles vor Augen, was daheim
war, und nur ganz leiſe weinte es dann vor Sehnſucht in
ſein Kiſſen hinein, ſo daß es gar Niemand hören konnte.
So ging eine lange Zeit dahin. Heidi wußte gar nie,
ob es Sommer oder Winter ſei, denn die Mauern und
Fenſter, die es aus allen Fenſtern des Hauſes Seſemann er¬
blickte, ſahen immer gleich aus, und hinaus kam es nur,
wenn es Klara beſonders gut ging und eine Ausfahrt im
Wagen mit ihr gemacht werden konnte, die aber immer
ſehr kurz war, denn Klara konnte nicht vertragen, lang zu
fahren. So kam man kaum aus den Mauern und Stein¬
ſtraßen heraus, ſondern kehrte gewöhnlich vorher wieder um
und fuhr immerfort durch große, ſchöne Straßen, wo Häuſer
und Menſchen in Fülle zu ſehen waren, aber nicht Gras
und Blumen, keine Tannen und keine Berge, und Heidi's
Verlangen nach dem Anblick der ſchönen, gewohnten Dinge
ſteigerte ſich mit jedem Tage mehr, ſo daß es jetzt nur den
Namen eines dieſer Erinnerung-weckenden Worte zu leſen
brauchte, ſo war ſchon ein Ausbruch des Schmerzes nahe,
und Heidi hatte mit aller Gewalt dagegen zu ringen. So
waren Herbſt und Winter vergangen, und ſchon blendete
die Sonne wieder ſo ſtark auf die weißen Mauern am
Hauſe gegenüber, daß Heidi ahnte, nun ſei die Zeit nahe,
da der Peter wieder zur Alm führe mit den Gaißen, da die
goldenen Cyſtusröschen glitzerten droben im Sonnenſchein
und allabendlich ringsum alle Berge im Feuer ſtänden.
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