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Spyri, Johanna: Heidi's Lehr- und Wanderjahre. Gotha, 1880.

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in Frankfurt alle miteinander beten, so kann der liebe Gott
ja nicht auf alle Acht geben, und mich hat er gewiß gar
nie gehört."

"So, wie weißt du denn das so sicher, Heidi?"

"Ich habe alle Tage das Gleiche gebetet, manche Woche
lang und der liebe Gott hat es nie gethan."

"Ja, so geht's nicht zu, Heidi! das mußt du nicht
meinen! Siehst du, der liebe Gott ist für uns Alle ein
guter Vater, der immer weiß, was gut für uns ist, wenn
wir es gar nicht wissen. Wenn wir nun aber Etwas von
ihm haben wollen, das nicht gut für uns ist, so gibt er
uns das nicht, sondern etwas viel Besseres, wenn wir fort¬
fahren, so recht herzlich zu ihm zu beten, aber nicht gleich
weglaufen und alles Vertrauen zu ihm verlieren. Siehst
du, was du nun von ihm erbitten wolltest, das war in
diesem Augenblick nicht gut für dich; der liebe Gott hat
dich schon gehört, er kann alle Menschen auf einmal an¬
hören und übersehn, siehst du, dafür ist er der liebe Gott
und nicht ein Mensch, wie du und ich. Und weil er nun
wohl wußte, was für dich gut ist, dachte er bei sich: ,Ja,
das Heidi soll schon einmal haben, wofür es bittet, aber
erst dann, wenn es ihm gut ist, und so wie es darüber
recht froh werden kann. Denn wenn ich jetzt thue, was es
will, und es merkt nachher, daß es doch besser gewesen wäre,
ich hätte ihm seinen Willen nicht gethan, dann weint es
nachher und sagt: Hätte mir doch der liebe Gott nur nicht

in Frankfurt alle miteinander beten, ſo kann der liebe Gott
ja nicht auf alle Acht geben, und mich hat er gewiß gar
nie gehört.“

„So, wie weißt du denn das ſo ſicher, Heidi?“

„Ich habe alle Tage das Gleiche gebetet, manche Woche
lang und der liebe Gott hat es nie gethan.“

„Ja, ſo geht's nicht zu, Heidi! das mußt du nicht
meinen! Siehſt du, der liebe Gott iſt für uns Alle ein
guter Vater, der immer weiß, was gut für uns iſt, wenn
wir es gar nicht wiſſen. Wenn wir nun aber Etwas von
ihm haben wollen, das nicht gut für uns iſt, ſo gibt er
uns das nicht, ſondern etwas viel Beſſeres, wenn wir fort¬
fahren, ſo recht herzlich zu ihm zu beten, aber nicht gleich
weglaufen und alles Vertrauen zu ihm verlieren. Siehſt
du, was du nun von ihm erbitten wollteſt, das war in
dieſem Augenblick nicht gut für dich; der liebe Gott hat
dich ſchon gehört, er kann alle Menſchen auf einmal an¬
hören und überſehn, ſiehſt du, dafür iſt er der liebe Gott
und nicht ein Menſch, wie du und ich. Und weil er nun
wohl wußte, was für dich gut iſt, dachte er bei ſich: ‚Ja,
das Heidi ſoll ſchon einmal haben, wofür es bittet, aber
erſt dann, wenn es ihm gut iſt, und ſo wie es darüber
recht froh werden kann. Denn wenn ich jetzt thue, was es
will, und es merkt nachher, daß es doch beſſer geweſen wäre,
ich hätte ihm ſeinen Willen nicht gethan, dann weint es
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[168/0178] in Frankfurt alle miteinander beten, ſo kann der liebe Gott ja nicht auf alle Acht geben, und mich hat er gewiß gar nie gehört.“ „So, wie weißt du denn das ſo ſicher, Heidi?“ „Ich habe alle Tage das Gleiche gebetet, manche Woche lang und der liebe Gott hat es nie gethan.“ „Ja, ſo geht's nicht zu, Heidi! das mußt du nicht meinen! Siehſt du, der liebe Gott iſt für uns Alle ein guter Vater, der immer weiß, was gut für uns iſt, wenn wir es gar nicht wiſſen. Wenn wir nun aber Etwas von ihm haben wollen, das nicht gut für uns iſt, ſo gibt er uns das nicht, ſondern etwas viel Beſſeres, wenn wir fort¬ fahren, ſo recht herzlich zu ihm zu beten, aber nicht gleich weglaufen und alles Vertrauen zu ihm verlieren. Siehſt du, was du nun von ihm erbitten wollteſt, das war in dieſem Augenblick nicht gut für dich; der liebe Gott hat dich ſchon gehört, er kann alle Menſchen auf einmal an¬ hören und überſehn, ſiehſt du, dafür iſt er der liebe Gott und nicht ein Menſch, wie du und ich. Und weil er nun wohl wußte, was für dich gut iſt, dachte er bei ſich: ‚Ja, das Heidi ſoll ſchon einmal haben, wofür es bittet, aber erſt dann, wenn es ihm gut iſt, und ſo wie es darüber recht froh werden kann. Denn wenn ich jetzt thue, was es will, und es merkt nachher, daß es doch beſſer geweſen wäre, ich hätte ihm ſeinen Willen nicht gethan, dann weint es nachher und ſagt: Hätte mir doch der liebe Gott nur nicht

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Zitationshilfe: Spyri, Johanna: Heidi's Lehr- und Wanderjahre. Gotha, 1880, S. 168. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spyri_heidi_1880/178>, abgerufen am 23.11.2024.