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Spyri, Johanna: Heidi's Lehr- und Wanderjahre. Gotha, 1880.

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mehr essen und jeden Tag wurde es ein wenig bleicher.
Am Abend konnte es oft lange, lange nicht einschlafen, denn
sobald es allein war und Alles still ringsumher, kam ihm
Alles so lebendig vor die Augen, die Alm und der Sonnen¬
schein darauf und die Blumen, und schlief es endlich doch
ein, so sah es im Traum die rothen Felsenspitzen am Falk¬
niß und das feurige Schneefeld am Cäsaplana, und er¬
wachte dann Heidi am Morgen und wollte voller Freude
hinausspringen aus der Hütte -- da war es auf einmal
in seinem großen Bett in Frankfurt, so weit, weit weg,
und konnte nicht mehr heim. Dann drückte Heidi oft seinen
Kopf in das Kissen und weinte lang, ganz leise, daß Nie¬
mand es höre.

Heidi's freudloser Zustand entging der Großmama nicht.
Sie ließ einige Tage vorübergehen und sah zu, ob die Sache
sich ändere und das Kind sein niedergeschlagenes Wesen
verlieren würde. Als es aber gleich blieb und die Gro߬
mama manchmal am frühen Morgen schon sehen konnte,
daß Heidi geweint hatte, da nahm sie eines Tages das Kind
wieder in ihre Stube, stellte es vor sich hin und sagte mit
großer Freundlichkeit: "Jetzt sag' mir, was dir fehlt, Heidi,
hast du einen Kummer?"

Aber gerade dieser freundlichen Großmama wollte Heidi
nicht sich so undankbar zeigen, daß sie vielleicht nachher gar
nicht mehr so freundlich wäre; so sagte Heidi traurig:
"Man kann es nicht sagen."

mehr eſſen und jeden Tag wurde es ein wenig bleicher.
Am Abend konnte es oft lange, lange nicht einſchlafen, denn
ſobald es allein war und Alles ſtill ringsumher, kam ihm
Alles ſo lebendig vor die Augen, die Alm und der Sonnen¬
ſchein darauf und die Blumen, und ſchlief es endlich doch
ein, ſo ſah es im Traum die rothen Felſenſpitzen am Falk¬
niß und das feurige Schneefeld am Cäſaplana, und er¬
wachte dann Heidi am Morgen und wollte voller Freude
hinausſpringen aus der Hütte — da war es auf einmal
in ſeinem großen Bett in Frankfurt, ſo weit, weit weg,
und konnte nicht mehr heim. Dann drückte Heidi oft ſeinen
Kopf in das Kiſſen und weinte lang, ganz leiſe, daß Nie¬
mand es höre.

Heidi's freudloſer Zuſtand entging der Großmama nicht.
Sie ließ einige Tage vorübergehen und ſah zu, ob die Sache
ſich ändere und das Kind ſein niedergeſchlagenes Weſen
verlieren würde. Als es aber gleich blieb und die Gro߬
mama manchmal am frühen Morgen ſchon ſehen konnte,
daß Heidi geweint hatte, da nahm ſie eines Tages das Kind
wieder in ihre Stube, ſtellte es vor ſich hin und ſagte mit
großer Freundlichkeit: „Jetzt ſag' mir, was dir fehlt, Heidi,
haſt du einen Kummer?“

Aber gerade dieſer freundlichen Großmama wollte Heidi
nicht ſich ſo undankbar zeigen, daß ſie vielleicht nachher gar
nicht mehr ſo freundlich wäre; ſo ſagte Heidi traurig:
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[159/0169] mehr eſſen und jeden Tag wurde es ein wenig bleicher. Am Abend konnte es oft lange, lange nicht einſchlafen, denn ſobald es allein war und Alles ſtill ringsumher, kam ihm Alles ſo lebendig vor die Augen, die Alm und der Sonnen¬ ſchein darauf und die Blumen, und ſchlief es endlich doch ein, ſo ſah es im Traum die rothen Felſenſpitzen am Falk¬ niß und das feurige Schneefeld am Cäſaplana, und er¬ wachte dann Heidi am Morgen und wollte voller Freude hinausſpringen aus der Hütte — da war es auf einmal in ſeinem großen Bett in Frankfurt, ſo weit, weit weg, und konnte nicht mehr heim. Dann drückte Heidi oft ſeinen Kopf in das Kiſſen und weinte lang, ganz leiſe, daß Nie¬ mand es höre. Heidi's freudloſer Zuſtand entging der Großmama nicht. Sie ließ einige Tage vorübergehen und ſah zu, ob die Sache ſich ändere und das Kind ſein niedergeſchlagenes Weſen verlieren würde. Als es aber gleich blieb und die Gro߬ mama manchmal am frühen Morgen ſchon ſehen konnte, daß Heidi geweint hatte, da nahm ſie eines Tages das Kind wieder in ihre Stube, ſtellte es vor ſich hin und ſagte mit großer Freundlichkeit: „Jetzt ſag' mir, was dir fehlt, Heidi, haſt du einen Kummer?“ Aber gerade dieſer freundlichen Großmama wollte Heidi nicht ſich ſo undankbar zeigen, daß ſie vielleicht nachher gar nicht mehr ſo freundlich wäre; ſo ſagte Heidi traurig: „Man kann es nicht ſagen.“

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Zitationshilfe: Spyri, Johanna: Heidi's Lehr- und Wanderjahre. Gotha, 1880, S. 159. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spyri_heidi_1880/169>, abgerufen am 23.11.2024.