doch vernehmen, was wahr ist und was die Leute darüber hinaus sagen; du weißt, denk' ich, die ganze Geschichte. Sag' mir jetzt ein wenig, was mit dem Alten ist und ob der immer so gefürchtet und ein solcher Menschenhasser war."
"Ob er immer so war, kann ich, denk' ich, nicht präzis wissen, ich bin jetzt sechsundzwanzig und er sicher siebenzig Jahr alt, so hab' ich ihn nicht gesehen, wie er jung war, das wirst du nicht erwarten. Wenn ich aber wüßte, daß es nachher nicht im ganzen Prättigau herumkäme, so könnte ich dir schon allerhand erzählen von ihm, meine Mutter war aus dem Domleschg und er auch."
"A bah, Dete, was meinst denn?" gab die Barbel ein wenig beleidigt zurück, "es geht nicht so streng mit dem Schwatzen im Prättigau, und dann kann ich schon etwas für mich behalten, wenn es sein muß. Erzähl' mir's jetzt, es muß dich nicht gereuen."
"Ja nu, so will ich, aber halt' Wort!" mahnte die Dete. Erst sah sie sich aber um, ob das Kind nicht zu nah sei und Alles anhöre, was sie sagen wollte; aber das Kind war gar nicht zu sehen, es mußte schon seit einiger Zeit den beiden Begleiterinnen nicht mehr gefolgt sein, diese hatten es aber im Eifer der Unterhaltung nicht bemerkt. Dete stand still und schaute sich überall um. Der Fußweg machte einige Krümmungen, doch konnte man ihn fast bis zum Dörfli hinunter übersehen, es war aber Niemand darauf sichtbar.
doch vernehmen, was wahr iſt und was die Leute darüber hinaus ſagen; du weißt, denk' ich, die ganze Geſchichte. Sag' mir jetzt ein wenig, was mit dem Alten iſt und ob der immer ſo gefürchtet und ein ſolcher Menſchenhaſſer war.“
„Ob er immer ſo war, kann ich, denk' ich, nicht präzis wiſſen, ich bin jetzt ſechsundzwanzig und er ſicher ſiebenzig Jahr alt, ſo hab' ich ihn nicht geſehen, wie er jung war, das wirſt du nicht erwarten. Wenn ich aber wüßte, daß es nachher nicht im ganzen Prättigau herumkäme, ſo könnte ich dir ſchon allerhand erzählen von ihm, meine Mutter war aus dem Domleſchg und er auch.“
„A bah, Dete, was meinſt denn?“ gab die Barbel ein wenig beleidigt zurück, „es geht nicht ſo ſtreng mit dem Schwatzen im Prättigau, und dann kann ich ſchon etwas für mich behalten, wenn es ſein muß. Erzähl' mir's jetzt, es muß dich nicht gereuen.“
„Ja nu, ſo will ich, aber halt' Wort!“ mahnte die Dete. Erſt ſah ſie ſich aber um, ob das Kind nicht zu nah ſei und Alles anhöre, was ſie ſagen wollte; aber das Kind war gar nicht zu ſehen, es mußte ſchon ſeit einiger Zeit den beiden Begleiterinnen nicht mehr gefolgt ſein, dieſe hatten es aber im Eifer der Unterhaltung nicht bemerkt. Dete ſtand ſtill und ſchaute ſich überall um. Der Fußweg machte einige Krümmungen, doch konnte man ihn faſt bis zum Dörfli hinunter überſehen, es war aber Niemand darauf ſichtbar.
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doch vernehmen, was wahr iſt und was die Leute darüber
hinaus ſagen; du weißt, denk' ich, die ganze Geſchichte.
Sag' mir jetzt ein wenig, was mit dem Alten iſt und ob
der immer ſo gefürchtet und ein ſolcher Menſchenhaſſer war.“
„Ob er immer ſo war, kann ich, denk' ich, nicht präzis
wiſſen, ich bin jetzt ſechsundzwanzig und er ſicher ſiebenzig
Jahr alt, ſo hab' ich ihn nicht geſehen, wie er jung war,
das wirſt du nicht erwarten. Wenn ich aber wüßte, daß
es nachher nicht im ganzen Prättigau herumkäme, ſo
könnte ich dir ſchon allerhand erzählen von ihm, meine
Mutter war aus dem Domleſchg und er auch.“
„A bah, Dete, was meinſt denn?“ gab die Barbel ein
wenig beleidigt zurück, „es geht nicht ſo ſtreng mit dem
Schwatzen im Prättigau, und dann kann ich ſchon etwas für
mich behalten, wenn es ſein muß. Erzähl' mir's jetzt, es
muß dich nicht gereuen.“
„Ja nu, ſo will ich, aber halt' Wort!“ mahnte die
Dete. Erſt ſah ſie ſich aber um, ob das Kind nicht zu
nah ſei und Alles anhöre, was ſie ſagen wollte; aber das
Kind war gar nicht zu ſehen, es mußte ſchon ſeit einiger
Zeit den beiden Begleiterinnen nicht mehr gefolgt ſein, dieſe
hatten es aber im Eifer der Unterhaltung nicht bemerkt.
Dete ſtand ſtill und ſchaute ſich überall um. Der Fußweg
machte einige Krümmungen, doch konnte man ihn faſt bis
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Spyri, Johanna: Heidi's Lehr- und Wanderjahre. Gotha, 1880, S. 6. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spyri_heidi_1880/16>, abgerufen am 16.02.2025.
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