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Spyri, Johanna: Heidi's Lehr- und Wanderjahre. Gotha, 1880.

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"Siehst du wohl? Was versteht so ein Kleines von
Aussicht! So, komm' nun wieder herunter und läute nie
mehr an einem Thurm!"

Der Thürmer stellte Heidi wieder auf den Boden und
stieg ihm voran die schmalen Treppchen hinab. Wo diese
breiter wurden, kam links die Thüre, die in des Thürmers
Stübchen führte, und nebenan ging der Boden bis unter
das schräge Dach hin. Dort hinten stand ein großer Korb
und davor saß eine dicke graue Katze und knurrte, denn in
dem Korb wohnte ihre Familie und sie wollte jeden Vor¬
übergehenden davor warnen, sich in ihre Familienangelegen¬
heiten zu mischen. Heidi stand still und schaute verwundert
hinüber, eine so mächtige Katze hatte es noch nie gesehen;
in dem alten Thurm wohnten aber ganze Heerden von
Mäusen, so holte sich die Katze ohne Mühe jeden Tag ein
halbes Dutzend Mäusebraten. Der Thürmer sah Heidi's
Bewunderung und sagte: "Komm', sie thut dir Nichts,
wenn ich dabei bin; du kannst die Jungen ansehen."

Heidi trat an den Korb heran und brach in ein großes
Entzücken aus.

"O, die netten Thierlein! die schönen Kätzchen!" rief
es ein Mal um's andere und sprang hin und her um den
Korb herum, um auch recht alle komischen Geberden und
Sprünge zu sehen, welche die sieben oder acht jungen Kätz¬
chen vollführten, die in dem Korb rastlos übereinanderhin
krabbelten, sprangen, fielen.

„Siehſt du wohl? Was verſteht ſo ein Kleines von
Ausſicht! So, komm' nun wieder herunter und läute nie
mehr an einem Thurm!“

Der Thürmer ſtellte Heidi wieder auf den Boden und
ſtieg ihm voran die ſchmalen Treppchen hinab. Wo dieſe
breiter wurden, kam links die Thüre, die in des Thürmers
Stübchen führte, und nebenan ging der Boden bis unter
das ſchräge Dach hin. Dort hinten ſtand ein großer Korb
und davor ſaß eine dicke graue Katze und knurrte, denn in
dem Korb wohnte ihre Familie und ſie wollte jeden Vor¬
übergehenden davor warnen, ſich in ihre Familienangelegen¬
heiten zu miſchen. Heidi ſtand ſtill und ſchaute verwundert
hinüber, eine ſo mächtige Katze hatte es noch nie geſehen;
in dem alten Thurm wohnten aber ganze Heerden von
Mäuſen, ſo holte ſich die Katze ohne Mühe jeden Tag ein
halbes Dutzend Mäuſebraten. Der Thürmer ſah Heidi's
Bewunderung und ſagte: „Komm', ſie thut dir Nichts,
wenn ich dabei bin; du kannſt die Jungen anſehen.“

Heidi trat an den Korb heran und brach in ein großes
Entzücken aus.

„O, die netten Thierlein! die ſchönen Kätzchen!“ rief
es ein Mal um's andere und ſprang hin und her um den
Korb herum, um auch recht alle komiſchen Geberden und
Sprünge zu ſehen, welche die ſieben oder acht jungen Kätz¬
chen vollführten, die in dem Korb raſtlos übereinanderhin
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[117/0127] „Siehſt du wohl? Was verſteht ſo ein Kleines von Ausſicht! So, komm' nun wieder herunter und läute nie mehr an einem Thurm!“ Der Thürmer ſtellte Heidi wieder auf den Boden und ſtieg ihm voran die ſchmalen Treppchen hinab. Wo dieſe breiter wurden, kam links die Thüre, die in des Thürmers Stübchen führte, und nebenan ging der Boden bis unter das ſchräge Dach hin. Dort hinten ſtand ein großer Korb und davor ſaß eine dicke graue Katze und knurrte, denn in dem Korb wohnte ihre Familie und ſie wollte jeden Vor¬ übergehenden davor warnen, ſich in ihre Familienangelegen¬ heiten zu miſchen. Heidi ſtand ſtill und ſchaute verwundert hinüber, eine ſo mächtige Katze hatte es noch nie geſehen; in dem alten Thurm wohnten aber ganze Heerden von Mäuſen, ſo holte ſich die Katze ohne Mühe jeden Tag ein halbes Dutzend Mäuſebraten. Der Thürmer ſah Heidi's Bewunderung und ſagte: „Komm', ſie thut dir Nichts, wenn ich dabei bin; du kannſt die Jungen anſehen.“ Heidi trat an den Korb heran und brach in ein großes Entzücken aus. „O, die netten Thierlein! die ſchönen Kätzchen!“ rief es ein Mal um's andere und ſprang hin und her um den Korb herum, um auch recht alle komiſchen Geberden und Sprünge zu ſehen, welche die ſieben oder acht jungen Kätz¬ chen vollführten, die in dem Korb raſtlos übereinanderhin krabbelten, ſprangen, fielen.

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Zitationshilfe: Spyri, Johanna: Heidi's Lehr- und Wanderjahre. Gotha, 1880, S. 117. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spyri_heidi_1880/127>, abgerufen am 28.11.2024.