Spyri, Johanna: Heidi's Lehr- und Wanderjahre. Gotha, 1880.das andere, es mußte den Himmel sehen und die Erde das andere, es mußte den Himmel ſehen und die Erde <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0113" n="103"/> das andere, es mußte den Himmel ſehen und die Erde<lb/> draußen, es fühlte ſich wie im Käfig hinter den großen<lb/> Vorhängen. Es konnte dieſe nicht wegſchieben; ſo kroch es<lb/> dahinter, um an ein Fenſter zu kommen. Aber dieſes war<lb/> ſo hoch, daß Heidi nur gerade mit dem Kopf ſo weit hinauf¬<lb/> reichte, daß es durchſehen konnte. Aber Heidi fand nicht,<lb/> was es ſuchte. Es lief von einem Fenſter zum andern<lb/> und dann wieder zum erſten zurück; aber immer war das¬<lb/> ſelbe vor ſeinen Augen, Mauern und Fenſter und wieder<lb/> Mauern und dann wieder Fenſter. Es wurde Heidi ganz<lb/> bange. Noch war es früh am Morgen, denn Heidi war<lb/> gewöhnt, früh aufzuſtehen auf der Alm und dann ſogleich<lb/> hinauszulaufen vor die Thüre und zu ſehen, wie's draußen<lb/> ſei, ob der Himmel blau und die Sonne ſchon droben ſei,<lb/> ob die Tannen rauſchen und die kleinen Blumen ſchon die<lb/> Augen offen haben. Wie das Vögelein, das zum erſten<lb/> Mal in ſeinem ſchön glänzenden Gefängniß ſitzt, hin- und<lb/> herſchießt und bei allen Stäben probiert, ob es nicht zwi¬<lb/> ſchen durchſchlüpfen und in die Freiheit hinausfliegen könnte,<lb/> ſo lief Heidi immer von dem einen Fenſter zum andern,<lb/> um zu probiren, ob es nicht aufgemacht werden könnte,<lb/> denn dann mußte man doch etwas Anderes ſehen, als<lb/> Mauern und Fenſter, da mußte doch unten der Erdboden,<lb/> das grüne Gras und der letzte, ſchmelzende Schnee an den<lb/> Abhängen zum Vorſchein kommen, und Heidi ſehnte ſich,<lb/> das zu ſehen. Aber die Fenſter blieben feſt verſchloſſen,<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [103/0113]
das andere, es mußte den Himmel ſehen und die Erde
draußen, es fühlte ſich wie im Käfig hinter den großen
Vorhängen. Es konnte dieſe nicht wegſchieben; ſo kroch es
dahinter, um an ein Fenſter zu kommen. Aber dieſes war
ſo hoch, daß Heidi nur gerade mit dem Kopf ſo weit hinauf¬
reichte, daß es durchſehen konnte. Aber Heidi fand nicht,
was es ſuchte. Es lief von einem Fenſter zum andern
und dann wieder zum erſten zurück; aber immer war das¬
ſelbe vor ſeinen Augen, Mauern und Fenſter und wieder
Mauern und dann wieder Fenſter. Es wurde Heidi ganz
bange. Noch war es früh am Morgen, denn Heidi war
gewöhnt, früh aufzuſtehen auf der Alm und dann ſogleich
hinauszulaufen vor die Thüre und zu ſehen, wie's draußen
ſei, ob der Himmel blau und die Sonne ſchon droben ſei,
ob die Tannen rauſchen und die kleinen Blumen ſchon die
Augen offen haben. Wie das Vögelein, das zum erſten
Mal in ſeinem ſchön glänzenden Gefängniß ſitzt, hin- und
herſchießt und bei allen Stäben probiert, ob es nicht zwi¬
ſchen durchſchlüpfen und in die Freiheit hinausfliegen könnte,
ſo lief Heidi immer von dem einen Fenſter zum andern,
um zu probiren, ob es nicht aufgemacht werden könnte,
denn dann mußte man doch etwas Anderes ſehen, als
Mauern und Fenſter, da mußte doch unten der Erdboden,
das grüne Gras und der letzte, ſchmelzende Schnee an den
Abhängen zum Vorſchein kommen, und Heidi ſehnte ſich,
das zu ſehen. Aber die Fenſter blieben feſt verſchloſſen,
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