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Sprengel, Christian Konrad: Das entdeckte Geheimniss der Natur im Bau und in der Befruchtung der Blumen. Berlin, 1793.

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Einleitung.
diese Vorstellung von selbst zu fallen, so blieb mir doch dieselbe so
lange fremde, bis mich die Natur selbst darauf brachte. Und
dieses geschah, als ich im May des nächstvergangenen Jahrs die
Euphorbia Cyparissias untersuchte. Ich sahe nemlich, daß, so
bald eine Blume aufgebrochen ist, zuerst die Stigmate aus der-
selben hervorkommen, grade in die Höhe stehen, und sich von-
einander breiten. Nach einigen Tagen kömmt das ganze Pistill,
welches auf einem eigenen Stielchen sitzt, aus der Blume heraus,
verliert nach und nach die aufrechte Stellung, und kehrt end-
lich die Stigmate der Erde zu. Alsdenn erst kommen die Staub-
gefäße eines nach dem andern aus der Blume zum Vorschein,
und die Antheren nehmen nun eben die Stelle ein, welche vorher
die Stigmate eingenommen hatten. Da ich nun schon lange vor-
her entdeckt hatte, daß diese Blume eine Saftblume ist, so sahe
ich ein, daß dieselbe wegen dieser Einrichtung nicht anders als von
Insekten befruchtet werden könne, daß sie aber auch wegen eben
derselben von denselben befruchtet werden müsse. Denn wenn diesel-
ben die ältere Blume besuchen, so müssen sie nothwendig den
Staub der Antheren abstreifen. Und eben deswegen, damit sie
dieses ungehindert thun können, hat das Pistill seine vorige Stelle
verlassen, und sich der Erde zugekehrt. Wenn sie aber hierauf
die jüngere Blume besuchen, so müssen sie wieder nothwendig mit
ihrem bestäubten Körper die Stigmate berühren, dieselben bestäu-
ben, und auf solche Art die jüngere Blume mit dem Staube der
ältern befruchten.

Da es also zwey Arten von Dichogamie giebt, so müssen diesel-
ben durch verschiedene Beywörter von einander unterschieden wer-
den. Die zuerst entdeckte nenne ich die männlich-weibliche, und
die zuletzt entdeckte die weiblich-männliche Dichogamie (Dicho-
gamia androgyna, Dichogamia gynandra
). Das Gegentheil
der Dichogamie heißt Homogamie.

Weil die letzten Blumen einer dichogamischen Pflanze von
der ersten Art ihren Staub den nächst vorhergehenden Blumen
mittheilen, und ihr Stigma unbestäubt bleibt: so können sie keine
Frucht ansetzen. Und weil die ersten Blumen eines weiblich-männ-
lichen Dichogamisten ihren Staub den zunächst folgenden Blumen
mittheilen, und ihr Stigma auch unbestäubt bleibt: so können
auch sie keine Frucht ansetzen. Daß dieses die Erfahrung bestäti-
get, werde ich in der Folge durch verschiedene Beyspiele erweisen.

Es ist gewiß, daß viele Blumen von mehrern Arten von In-
sekten befruchtet werden, z. B. die Schirmblumen, die Euphor-
bien. Diese werden von allerley Insekten besucht, weil ihr
Saft denselben sobald in die Augen fällt, als sie sich den Blumen
genähert haben, so daß denselben auch die dümmste Fliege leicht
finden kann. Indem nun diese Insekten auf diesen Blumen auf
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Einleitung.
eine unbestimmte Art umherlaufen, und bald die älteren, bald
die jüngeren Blumen einer Umbelle ihres Safts berauben: so
müssen sie nothwendig bald Antheren, bald Stigmate berühren,
und den Staub der ersteren auf die letzteren bringen, und zwar
auf eine ganz unbestimmte Art. Es ist aber auch gewiß, daß
viele Blumen bloß von Einer Art von Insekten, und zwar auf eine
sehr bestimmte Art, befruchtet werden, da die übrigen entwe-
der zu dumm sind, um zu wissen, wo der Saft versteckt ist, und
wie sie zu demselben gelangen können, oder, wenn sie es wissen,
entweder zu groß sind, um in die Blumen hineinkriechen zu kön-
nen, oder zu klein, als daß sie beym Hineinkriechen die Antheren
und das Stigma berühren sollten. So wird, wie ich an seinem
Ort beweisen werde, Nigella aruensis bloß von den Bienen be-
fruchtet, Iris Xiphium hingegen bloß von Hummeln, beide aber
auf eine sehr bestimmte Art. Für die letztere Blume sind die Bie-
nen zu klein und zu schwach, und können sich nicht in dieselbe
hineinarbeiten. Antirrhinum maius wird, und zwar auf eine
bestimmte Art, von einer großen Hummel befruchtet, Antirrhi-
num Linaria
eben so von einer kleinen Hummel. Die große
Hummel kann die letztere Blume nicht befruchten, weil diese klei-
ner ist, als daß sie sollte in dieselbe hineinkriechen können. Daher
gebraucht die Hummel Gewalt, beißt ein Loch in den Sporn,
welcher den Saft enthält, steckt durch dasselbe ihren Saugrüssel,
und verzehrt den Saft.

Was nun diejenigen Insekten betrifft, von welchen ich aus
der Erfahrung beweisen kann, daß sie die Blumen befruchten, so
sind dieses vorzüglich die Bienen und die Hummeln. Die Ge-
schicktheit dieser Thierchen, den Saft zu finden, wenn er auch
noch so sehr versteckt ist, hat mich oft in Erstaunen gesetzt. Wie
klein sind nicht die Saftmaschinen des wilden Schwarzkümmels?
Und wie viel kleiner ist nicht derjenige Theil derselben, welcher als
eine kleine Büchse gestaltet, und mit einem elastischen Deckel ver-
sehen ist, und den Saft enthält? Die Biene, vom ringförmi-
gen Saftmaal geleitet, läuft im Kreise herum, öffnet jedes Büchs-
chen, und holet den Saft heraus. Wer keine Kenntniß von den
Blumen hat, wird vielleicht, wenn er das Antirrhinum maius
zum erstenmal sieht, glauben, daß die Unterlippe desselben mit
der Oberlippe ein einziges Stück ausmacht, denn beide schließen
dicht an einander; und aus dem gelben Fleck auf der Unterlippe
wird er um so viel weniger das Gegentheil zu schließen im Stande
seyn, da keinem einzigen Botaniker bisher der Endzweck desselben
bekannt gewesen ist. Hat sich aber eine Hummel der Blume ge-
nähert, so wird sie nicht etwa erst Versuche anstellen, ob und wie
sie hineinkommen könne. Da sie sehr wohl weiß, was der gelbe
Fleck bedeutet, so setzt sie sich sogleich auf die Unterlippe, entfernt

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Einleitung.
dieſe Vorſtellung von ſelbſt zu fallen, ſo blieb mir doch dieſelbe ſo
lange fremde, bis mich die Natur ſelbſt darauf brachte. Und
dieſes geſchah, als ich im May des naͤchſtvergangenen Jahrs die
Euphorbia Cypariſſias unterſuchte. Ich ſahe nemlich, daß, ſo
bald eine Blume aufgebrochen iſt, zuerſt die Stigmate aus der-
ſelben hervorkommen, grade in die Hoͤhe ſtehen, und ſich von-
einander breiten. Nach einigen Tagen koͤmmt das ganze Piſtill,
welches auf einem eigenen Stielchen ſitzt, aus der Blume heraus,
verliert nach und nach die aufrechte Stellung, und kehrt end-
lich die Stigmate der Erde zu. Alsdenn erſt kommen die Staub-
gefaͤße eines nach dem andern aus der Blume zum Vorſchein,
und die Antheren nehmen nun eben die Stelle ein, welche vorher
die Stigmate eingenommen hatten. Da ich nun ſchon lange vor-
her entdeckt hatte, daß dieſe Blume eine Saftblume iſt, ſo ſahe
ich ein, daß dieſelbe wegen dieſer Einrichtung nicht anders als von
Inſekten befruchtet werden koͤnne, daß ſie aber auch wegen eben
derſelben von denſelben befruchtet werden muͤſſe. Denn wenn dieſel-
ben die aͤltere Blume beſuchen, ſo muͤſſen ſie nothwendig den
Staub der Antheren abſtreifen. Und eben deswegen, damit ſie
dieſes ungehindert thun koͤnnen, hat das Piſtill ſeine vorige Stelle
verlaſſen, und ſich der Erde zugekehrt. Wenn ſie aber hierauf
die juͤngere Blume beſuchen, ſo muͤſſen ſie wieder nothwendig mit
ihrem beſtaͤubten Koͤrper die Stigmate beruͤhren, dieſelben beſtaͤu-
ben, und auf ſolche Art die juͤngere Blume mit dem Staube der
aͤltern befruchten.

Da es alſo zwey Arten von Dichogamie giebt, ſo muͤſſen dieſel-
ben durch verſchiedene Beywoͤrter von einander unterſchieden wer-
den. Die zuerſt entdeckte nenne ich die maͤnnlich-weibliche, und
die zuletzt entdeckte die weiblich-maͤnnliche Dichogamie (Dicho-
gamia androgyna, Dichogamia gynandra
). Das Gegentheil
der Dichogamie heißt Homogamie.

Weil die letzten Blumen einer dichogamiſchen Pflanze von
der erſten Art ihren Staub den naͤchſt vorhergehenden Blumen
mittheilen, und ihr Stigma unbeſtaͤubt bleibt: ſo koͤnnen ſie keine
Frucht anſetzen. Und weil die erſten Blumen eines weiblich-maͤnn-
lichen Dichogamiſten ihren Staub den zunaͤchſt folgenden Blumen
mittheilen, und ihr Stigma auch unbeſtaͤubt bleibt: ſo koͤnnen
auch ſie keine Frucht anſetzen. Daß dieſes die Erfahrung beſtaͤti-
get, werde ich in der Folge durch verſchiedene Beyſpiele erweiſen.

Es iſt gewiß, daß viele Blumen von mehrern Arten von In-
ſekten befruchtet werden, z. B. die Schirmblumen, die Euphor-
bien. Dieſe werden von allerley Inſekten beſucht, weil ihr
Saft denſelben ſobald in die Augen faͤllt, als ſie ſich den Blumen
genaͤhert haben, ſo daß denſelben auch die duͤmmſte Fliege leicht
finden kann. Indem nun dieſe Inſekten auf dieſen Blumen auf
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Einleitung.
eine unbeſtimmte Art umherlaufen, und bald die aͤlteren, bald
die juͤngeren Blumen einer Umbelle ihres Safts berauben: ſo
muͤſſen ſie nothwendig bald Antheren, bald Stigmate beruͤhren,
und den Staub der erſteren auf die letzteren bringen, und zwar
auf eine ganz unbeſtimmte Art. Es iſt aber auch gewiß, daß
viele Blumen bloß von Einer Art von Inſekten, und zwar auf eine
ſehr beſtimmte Art, befruchtet werden, da die uͤbrigen entwe-
der zu dumm ſind, um zu wiſſen, wo der Saft verſteckt iſt, und
wie ſie zu demſelben gelangen koͤnnen, oder, wenn ſie es wiſſen,
entweder zu groß ſind, um in die Blumen hineinkriechen zu koͤn-
nen, oder zu klein, als daß ſie beym Hineinkriechen die Antheren
und das Stigma beruͤhren ſollten. So wird, wie ich an ſeinem
Ort beweiſen werde, Nigella aruenſis bloß von den Bienen be-
fruchtet, Iris Xiphium hingegen bloß von Hummeln, beide aber
auf eine ſehr beſtimmte Art. Fuͤr die letztere Blume ſind die Bie-
nen zu klein und zu ſchwach, und koͤnnen ſich nicht in dieſelbe
hineinarbeiten. Antirrhinum maius wird, und zwar auf eine
beſtimmte Art, von einer großen Hummel befruchtet, Antirrhi-
num Linaria
eben ſo von einer kleinen Hummel. Die große
Hummel kann die letztere Blume nicht befruchten, weil dieſe klei-
ner iſt, als daß ſie ſollte in dieſelbe hineinkriechen koͤnnen. Daher
gebraucht die Hummel Gewalt, beißt ein Loch in den Sporn,
welcher den Saft enthaͤlt, ſteckt durch daſſelbe ihren Saugruͤſſel,
und verzehrt den Saft.

Was nun diejenigen Inſekten betrifft, von welchen ich aus
der Erfahrung beweiſen kann, daß ſie die Blumen befruchten, ſo
ſind dieſes vorzuͤglich die Bienen und die Hummeln. Die Ge-
ſchicktheit dieſer Thierchen, den Saft zu finden, wenn er auch
noch ſo ſehr verſteckt iſt, hat mich oft in Erſtaunen geſetzt. Wie
klein ſind nicht die Saftmaſchinen des wilden Schwarzkuͤmmels?
Und wie viel kleiner iſt nicht derjenige Theil derſelben, welcher als
eine kleine Buͤchſe geſtaltet, und mit einem elaſtiſchen Deckel ver-
ſehen iſt, und den Saft enthaͤlt? Die Biene, vom ringfoͤrmi-
gen Saftmaal geleitet, laͤuft im Kreiſe herum, oͤffnet jedes Buͤchs-
chen, und holet den Saft heraus. Wer keine Kenntniß von den
Blumen hat, wird vielleicht, wenn er das Antirrhinum maius
zum erſtenmal ſieht, glauben, daß die Unterlippe deſſelben mit
der Oberlippe ein einziges Stuͤck ausmacht, denn beide ſchließen
dicht an einander; und aus dem gelben Fleck auf der Unterlippe
wird er um ſo viel weniger das Gegentheil zu ſchließen im Stande
ſeyn, da keinem einzigen Botaniker bisher der Endzweck deſſelben
bekannt geweſen iſt. Hat ſich aber eine Hummel der Blume ge-
naͤhert, ſo wird ſie nicht etwa erſt Verſuche anſtellen, ob und wie
ſie hineinkommen koͤnne. Da ſie ſehr wohl weiß, was der gelbe
Fleck bedeutet, ſo ſetzt ſie ſich ſogleich auf die Unterlippe, entfernt

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[[22]/0022] Einleitung. Einleitung. dieſe Vorſtellung von ſelbſt zu fallen, ſo blieb mir doch dieſelbe ſo lange fremde, bis mich die Natur ſelbſt darauf brachte. Und dieſes geſchah, als ich im May des naͤchſtvergangenen Jahrs die Euphorbia Cypariſſias unterſuchte. Ich ſahe nemlich, daß, ſo bald eine Blume aufgebrochen iſt, zuerſt die Stigmate aus der- ſelben hervorkommen, grade in die Hoͤhe ſtehen, und ſich von- einander breiten. Nach einigen Tagen koͤmmt das ganze Piſtill, welches auf einem eigenen Stielchen ſitzt, aus der Blume heraus, verliert nach und nach die aufrechte Stellung, und kehrt end- lich die Stigmate der Erde zu. Alsdenn erſt kommen die Staub- gefaͤße eines nach dem andern aus der Blume zum Vorſchein, und die Antheren nehmen nun eben die Stelle ein, welche vorher die Stigmate eingenommen hatten. Da ich nun ſchon lange vor- her entdeckt hatte, daß dieſe Blume eine Saftblume iſt, ſo ſahe ich ein, daß dieſelbe wegen dieſer Einrichtung nicht anders als von Inſekten befruchtet werden koͤnne, daß ſie aber auch wegen eben derſelben von denſelben befruchtet werden muͤſſe. Denn wenn dieſel- ben die aͤltere Blume beſuchen, ſo muͤſſen ſie nothwendig den Staub der Antheren abſtreifen. Und eben deswegen, damit ſie dieſes ungehindert thun koͤnnen, hat das Piſtill ſeine vorige Stelle verlaſſen, und ſich der Erde zugekehrt. Wenn ſie aber hierauf die juͤngere Blume beſuchen, ſo muͤſſen ſie wieder nothwendig mit ihrem beſtaͤubten Koͤrper die Stigmate beruͤhren, dieſelben beſtaͤu- ben, und auf ſolche Art die juͤngere Blume mit dem Staube der aͤltern befruchten. Da es alſo zwey Arten von Dichogamie giebt, ſo muͤſſen dieſel- ben durch verſchiedene Beywoͤrter von einander unterſchieden wer- den. Die zuerſt entdeckte nenne ich die maͤnnlich-weibliche, und die zuletzt entdeckte die weiblich-maͤnnliche Dichogamie (Dicho- gamia androgyna, Dichogamia gynandra). Das Gegentheil der Dichogamie heißt Homogamie. Weil die letzten Blumen einer dichogamiſchen Pflanze von der erſten Art ihren Staub den naͤchſt vorhergehenden Blumen mittheilen, und ihr Stigma unbeſtaͤubt bleibt: ſo koͤnnen ſie keine Frucht anſetzen. Und weil die erſten Blumen eines weiblich-maͤnn- lichen Dichogamiſten ihren Staub den zunaͤchſt folgenden Blumen mittheilen, und ihr Stigma auch unbeſtaͤubt bleibt: ſo koͤnnen auch ſie keine Frucht anſetzen. Daß dieſes die Erfahrung beſtaͤti- get, werde ich in der Folge durch verſchiedene Beyſpiele erweiſen. Es iſt gewiß, daß viele Blumen von mehrern Arten von In- ſekten befruchtet werden, z. B. die Schirmblumen, die Euphor- bien. Dieſe werden von allerley Inſekten beſucht, weil ihr Saft denſelben ſobald in die Augen faͤllt, als ſie ſich den Blumen genaͤhert haben, ſo daß denſelben auch die duͤmmſte Fliege leicht finden kann. Indem nun dieſe Inſekten auf dieſen Blumen auf eine unbeſtimmte Art umherlaufen, und bald die aͤlteren, bald die juͤngeren Blumen einer Umbelle ihres Safts berauben: ſo muͤſſen ſie nothwendig bald Antheren, bald Stigmate beruͤhren, und den Staub der erſteren auf die letzteren bringen, und zwar auf eine ganz unbeſtimmte Art. Es iſt aber auch gewiß, daß viele Blumen bloß von Einer Art von Inſekten, und zwar auf eine ſehr beſtimmte Art, befruchtet werden, da die uͤbrigen entwe- der zu dumm ſind, um zu wiſſen, wo der Saft verſteckt iſt, und wie ſie zu demſelben gelangen koͤnnen, oder, wenn ſie es wiſſen, entweder zu groß ſind, um in die Blumen hineinkriechen zu koͤn- nen, oder zu klein, als daß ſie beym Hineinkriechen die Antheren und das Stigma beruͤhren ſollten. So wird, wie ich an ſeinem Ort beweiſen werde, Nigella aruenſis bloß von den Bienen be- fruchtet, Iris Xiphium hingegen bloß von Hummeln, beide aber auf eine ſehr beſtimmte Art. Fuͤr die letztere Blume ſind die Bie- nen zu klein und zu ſchwach, und koͤnnen ſich nicht in dieſelbe hineinarbeiten. Antirrhinum maius wird, und zwar auf eine beſtimmte Art, von einer großen Hummel befruchtet, Antirrhi- num Linaria eben ſo von einer kleinen Hummel. Die große Hummel kann die letztere Blume nicht befruchten, weil dieſe klei- ner iſt, als daß ſie ſollte in dieſelbe hineinkriechen koͤnnen. Daher gebraucht die Hummel Gewalt, beißt ein Loch in den Sporn, welcher den Saft enthaͤlt, ſteckt durch daſſelbe ihren Saugruͤſſel, und verzehrt den Saft. Was nun diejenigen Inſekten betrifft, von welchen ich aus der Erfahrung beweiſen kann, daß ſie die Blumen befruchten, ſo ſind dieſes vorzuͤglich die Bienen und die Hummeln. Die Ge- ſchicktheit dieſer Thierchen, den Saft zu finden, wenn er auch noch ſo ſehr verſteckt iſt, hat mich oft in Erſtaunen geſetzt. Wie klein ſind nicht die Saftmaſchinen des wilden Schwarzkuͤmmels? Und wie viel kleiner iſt nicht derjenige Theil derſelben, welcher als eine kleine Buͤchſe geſtaltet, und mit einem elaſtiſchen Deckel ver- ſehen iſt, und den Saft enthaͤlt? Die Biene, vom ringfoͤrmi- gen Saftmaal geleitet, laͤuft im Kreiſe herum, oͤffnet jedes Buͤchs- chen, und holet den Saft heraus. Wer keine Kenntniß von den Blumen hat, wird vielleicht, wenn er das Antirrhinum maius zum erſtenmal ſieht, glauben, daß die Unterlippe deſſelben mit der Oberlippe ein einziges Stuͤck ausmacht, denn beide ſchließen dicht an einander; und aus dem gelben Fleck auf der Unterlippe wird er um ſo viel weniger das Gegentheil zu ſchließen im Stande ſeyn, da keinem einzigen Botaniker bisher der Endzweck deſſelben bekannt geweſen iſt. Hat ſich aber eine Hummel der Blume ge- naͤhert, ſo wird ſie nicht etwa erſt Verſuche anſtellen, ob und wie ſie hineinkommen koͤnne. Da ſie ſehr wohl weiß, was der gelbe Fleck bedeutet, ſo ſetzt ſie ſich ſogleich auf die Unterlippe, entfernt

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Zitationshilfe: Sprengel, Christian Konrad: Das entdeckte Geheimniss der Natur im Bau und in der Befruchtung der Blumen. Berlin, 1793, S. [22]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sprengel_blumen_1793/22>, abgerufen am 28.03.2024.