Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Spiess, Christian Heinrich: Biographien der Wahnsinnigen. Bd. 4. Leipzig, 1796.

Bild:
<< vorherige Seite

ihres nahen Glücks dankbar zu seyn wünschte,
minder streng eine kleine Freiheit verweigerte,
und dadurch unvermerkt in die Fluthen des
brausenden Stroms gerieth, der alles mit sich
fortreißt, was sich seinen Wellen naht. Als
endlich Wilhelm würklich schied, so mischten
sich in die Thränen des Abschiedes auch Thrä-
nen der Reue, der verlohrnen Unschuld, wel-
che nur die Hofnung der baldigen Wiederkehr
trocknen konnte.

Es war zwischen den Liebenden verabredet
worden, daß Wilhelm mit jedem Posttage
schreiben, seine Gesundheit und den Erfolg sei-
nes Unternehmens berichten solle. Er erfüllte
sein Versprechen strenge, Sophie erhielt jede
Woche zweimal Nachricht von ihm, nur trauer-
te sie, wenn sie in seinen Briefen laß, daß er
immer weiter reise, und es ihm nirgends beha-
gen wollte. Wie ein Monat verflossen war,
und er von Frankfurt aus zum leztenmale ge-

ihres nahen Gluͤcks dankbar zu ſeyn wuͤnſchte,
minder ſtreng eine kleine Freiheit verweigerte,
und dadurch unvermerkt in die Fluthen des
brauſenden Stroms gerieth, der alles mit ſich
fortreißt, was ſich ſeinen Wellen naht. Als
endlich Wilhelm wuͤrklich ſchied, ſo miſchten
ſich in die Thraͤnen des Abſchiedes auch Thraͤ-
nen der Reue, der verlohrnen Unſchuld, wel-
che nur die Hofnung der baldigen Wiederkehr
trocknen konnte.

Es war zwiſchen den Liebenden verabredet
worden, daß Wilhelm mit jedem Poſttage
ſchreiben, ſeine Geſundheit und den Erfolg ſei-
nes Unternehmens berichten ſolle. Er erfuͤllte
ſein Verſprechen ſtrenge, Sophie erhielt jede
Woche zweimal Nachricht von ihm, nur trauer-
te ſie, wenn ſie in ſeinen Briefen laß, daß er
immer weiter reiſe, und es ihm nirgends beha-
gen wollte. Wie ein Monat verfloſſen war,
und er von Frankfurt aus zum leztenmale ge-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0055" n="45"/>
ihres nahen Glu&#x0364;cks dankbar zu &#x017F;eyn wu&#x0364;n&#x017F;chte,<lb/>
minder &#x017F;treng eine kleine Freiheit verweigerte,<lb/>
und dadurch unvermerkt in die Fluthen des<lb/>
brau&#x017F;enden Stroms gerieth, der alles mit &#x017F;ich<lb/>
fortreißt, was &#x017F;ich &#x017F;einen Wellen naht. Als<lb/>
endlich Wilhelm wu&#x0364;rklich &#x017F;chied, &#x017F;o mi&#x017F;chten<lb/>
&#x017F;ich in die Thra&#x0364;nen des Ab&#x017F;chiedes auch Thra&#x0364;-<lb/>
nen der Reue, der verlohrnen Un&#x017F;chuld, wel-<lb/>
che nur die Hofnung der baldigen Wiederkehr<lb/>
trocknen konnte.</p><lb/>
        <p>Es war zwi&#x017F;chen den Liebenden verabredet<lb/>
worden, daß Wilhelm mit jedem Po&#x017F;ttage<lb/>
&#x017F;chreiben, &#x017F;eine Ge&#x017F;undheit und den Erfolg &#x017F;ei-<lb/>
nes Unternehmens berichten &#x017F;olle. Er erfu&#x0364;llte<lb/>
&#x017F;ein Ver&#x017F;prechen &#x017F;trenge, Sophie erhielt jede<lb/>
Woche zweimal Nachricht von ihm, nur trauer-<lb/>
te &#x017F;ie, wenn &#x017F;ie in &#x017F;einen Briefen laß, daß er<lb/>
immer weiter rei&#x017F;e, und es ihm nirgends beha-<lb/>
gen wollte. Wie ein Monat verflo&#x017F;&#x017F;en war,<lb/>
und er von Frankfurt aus zum leztenmale ge-<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[45/0055] ihres nahen Gluͤcks dankbar zu ſeyn wuͤnſchte, minder ſtreng eine kleine Freiheit verweigerte, und dadurch unvermerkt in die Fluthen des brauſenden Stroms gerieth, der alles mit ſich fortreißt, was ſich ſeinen Wellen naht. Als endlich Wilhelm wuͤrklich ſchied, ſo miſchten ſich in die Thraͤnen des Abſchiedes auch Thraͤ- nen der Reue, der verlohrnen Unſchuld, wel- che nur die Hofnung der baldigen Wiederkehr trocknen konnte. Es war zwiſchen den Liebenden verabredet worden, daß Wilhelm mit jedem Poſttage ſchreiben, ſeine Geſundheit und den Erfolg ſei- nes Unternehmens berichten ſolle. Er erfuͤllte ſein Verſprechen ſtrenge, Sophie erhielt jede Woche zweimal Nachricht von ihm, nur trauer- te ſie, wenn ſie in ſeinen Briefen laß, daß er immer weiter reiſe, und es ihm nirgends beha- gen wollte. Wie ein Monat verfloſſen war, und er von Frankfurt aus zum leztenmale ge-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/spiess_biographien04_1796
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/spiess_biographien04_1796/55
Zitationshilfe: Spiess, Christian Heinrich: Biographien der Wahnsinnigen. Bd. 4. Leipzig, 1796, S. 45. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spiess_biographien04_1796/55>, abgerufen am 22.11.2024.