zehnten Stunde unter der Hand des Henkers dulden würde. Sophie hatte diese lange Zeit hindurch ihrer geharrt, ihr Jammer war ohne Grenzen, als sie diese schreckliche Nach- richt hörte, sie eilte nach der Hauptwache, sie wollte wenigstens ihren Wilhelm noch ein- mal sehen, aber ein Priester bereitete ihn eben zum nahen Tode, sie ward nicht vor- gelassen. Mit zerrauftem Haare, mit star- rem Blicke und blutig gerungnen Händen er- schien sie izt im Zimmer der Obristhofmeiste- rin, die schon lange ihre ungewöhnliche Ab- wesenheit bemerkt, vergebens nach ihr gefragt hatte.
Sophiens Schmerz war keiner Worte fä- hig, die Obristhofmeisterin brauchte viele Mühe und Geduld, ehe sie die Ursache ihres schrecklichen Zustandes erfahren konnte. Sie war eine äusserst sanfte und menschenfreund- liche Dame, Sophiens Jammer rührte ihr
zehnten Stunde unter der Hand des Henkers dulden wuͤrde. Sophie hatte dieſe lange Zeit hindurch ihrer geharrt, ihr Jammer war ohne Grenzen, als ſie dieſe ſchreckliche Nach- richt hoͤrte, ſie eilte nach der Hauptwache, ſie wollte wenigſtens ihren Wilhelm noch ein- mal ſehen, aber ein Prieſter bereitete ihn eben zum nahen Tode, ſie ward nicht vor- gelaſſen. Mit zerrauftem Haare, mit ſtar- rem Blicke und blutig gerungnen Haͤnden er- ſchien ſie izt im Zimmer der Obriſthofmeiſte- rin, die ſchon lange ihre ungewoͤhnliche Ab- weſenheit bemerkt, vergebens nach ihr gefragt hatte.
Sophiens Schmerz war keiner Worte faͤ- hig, die Obriſthofmeiſterin brauchte viele Muͤhe und Geduld, ehe ſie die Urſache ihres ſchrecklichen Zuſtandes erfahren konnte. Sie war eine aͤuſſerſt ſanfte und menſchenfreund- liche Dame, Sophiens Jammer ruͤhrte ihr
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0031"n="21"/>
zehnten Stunde unter der Hand des Henkers<lb/>
dulden wuͤrde. Sophie hatte dieſe lange Zeit<lb/>
hindurch ihrer geharrt, ihr Jammer war<lb/>
ohne Grenzen, als ſie dieſe ſchreckliche Nach-<lb/>
richt hoͤrte, ſie eilte nach der Hauptwache,<lb/>ſie wollte wenigſtens ihren Wilhelm noch ein-<lb/>
mal ſehen, aber ein Prieſter bereitete ihn<lb/>
eben zum nahen Tode, ſie ward nicht vor-<lb/>
gelaſſen. Mit zerrauftem Haare, mit ſtar-<lb/>
rem Blicke und blutig gerungnen Haͤnden er-<lb/>ſchien ſie izt im Zimmer der Obriſthofmeiſte-<lb/>
rin, die ſchon lange ihre ungewoͤhnliche Ab-<lb/>
weſenheit bemerkt, vergebens nach ihr gefragt<lb/>
hatte.</p><lb/><p>Sophiens Schmerz war keiner Worte faͤ-<lb/>
hig, die Obriſthofmeiſterin brauchte viele<lb/>
Muͤhe und Geduld, ehe ſie die Urſache ihres<lb/>ſchrecklichen Zuſtandes erfahren konnte. Sie<lb/>
war eine aͤuſſerſt ſanfte und menſchenfreund-<lb/>
liche Dame, Sophiens Jammer ruͤhrte ihr<lb/></p></div></body></text></TEI>
[21/0031]
zehnten Stunde unter der Hand des Henkers
dulden wuͤrde. Sophie hatte dieſe lange Zeit
hindurch ihrer geharrt, ihr Jammer war
ohne Grenzen, als ſie dieſe ſchreckliche Nach-
richt hoͤrte, ſie eilte nach der Hauptwache,
ſie wollte wenigſtens ihren Wilhelm noch ein-
mal ſehen, aber ein Prieſter bereitete ihn
eben zum nahen Tode, ſie ward nicht vor-
gelaſſen. Mit zerrauftem Haare, mit ſtar-
rem Blicke und blutig gerungnen Haͤnden er-
ſchien ſie izt im Zimmer der Obriſthofmeiſte-
rin, die ſchon lange ihre ungewoͤhnliche Ab-
weſenheit bemerkt, vergebens nach ihr gefragt
hatte.
Sophiens Schmerz war keiner Worte faͤ-
hig, die Obriſthofmeiſterin brauchte viele
Muͤhe und Geduld, ehe ſie die Urſache ihres
ſchrecklichen Zuſtandes erfahren konnte. Sie
war eine aͤuſſerſt ſanfte und menſchenfreund-
liche Dame, Sophiens Jammer ruͤhrte ihr
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Spiess, Christian Heinrich: Biographien der Wahnsinnigen. Bd. 4. Leipzig, 1796, S. 21. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spiess_biographien04_1796/31>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.