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Spiess, Christian Heinrich: Biographien der Wahnsinnigen. Bd. 4. Leipzig, 1796.

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zehnten Stunde unter der Hand des Henkers
dulden würde. Sophie hatte diese lange Zeit
hindurch ihrer geharrt, ihr Jammer war
ohne Grenzen, als sie diese schreckliche Nach-
richt hörte, sie eilte nach der Hauptwache,
sie wollte wenigstens ihren Wilhelm noch ein-
mal sehen, aber ein Priester bereitete ihn
eben zum nahen Tode, sie ward nicht vor-
gelassen. Mit zerrauftem Haare, mit star-
rem Blicke und blutig gerungnen Händen er-
schien sie izt im Zimmer der Obristhofmeiste-
rin, die schon lange ihre ungewöhnliche Ab-
wesenheit bemerkt, vergebens nach ihr gefragt
hatte.

Sophiens Schmerz war keiner Worte fä-
hig, die Obristhofmeisterin brauchte viele
Mühe und Geduld, ehe sie die Ursache ihres
schrecklichen Zustandes erfahren konnte. Sie
war eine äusserst sanfte und menschenfreund-
liche Dame, Sophiens Jammer rührte ihr

zehnten Stunde unter der Hand des Henkers
dulden wuͤrde. Sophie hatte dieſe lange Zeit
hindurch ihrer geharrt, ihr Jammer war
ohne Grenzen, als ſie dieſe ſchreckliche Nach-
richt hoͤrte, ſie eilte nach der Hauptwache,
ſie wollte wenigſtens ihren Wilhelm noch ein-
mal ſehen, aber ein Prieſter bereitete ihn
eben zum nahen Tode, ſie ward nicht vor-
gelaſſen. Mit zerrauftem Haare, mit ſtar-
rem Blicke und blutig gerungnen Haͤnden er-
ſchien ſie izt im Zimmer der Obriſthofmeiſte-
rin, die ſchon lange ihre ungewoͤhnliche Ab-
weſenheit bemerkt, vergebens nach ihr gefragt
hatte.

Sophiens Schmerz war keiner Worte faͤ-
hig, die Obriſthofmeiſterin brauchte viele
Muͤhe und Geduld, ehe ſie die Urſache ihres
ſchrecklichen Zuſtandes erfahren konnte. Sie
war eine aͤuſſerſt ſanfte und menſchenfreund-
liche Dame, Sophiens Jammer ruͤhrte ihr

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[21/0031] zehnten Stunde unter der Hand des Henkers dulden wuͤrde. Sophie hatte dieſe lange Zeit hindurch ihrer geharrt, ihr Jammer war ohne Grenzen, als ſie dieſe ſchreckliche Nach- richt hoͤrte, ſie eilte nach der Hauptwache, ſie wollte wenigſtens ihren Wilhelm noch ein- mal ſehen, aber ein Prieſter bereitete ihn eben zum nahen Tode, ſie ward nicht vor- gelaſſen. Mit zerrauftem Haare, mit ſtar- rem Blicke und blutig gerungnen Haͤnden er- ſchien ſie izt im Zimmer der Obriſthofmeiſte- rin, die ſchon lange ihre ungewoͤhnliche Ab- weſenheit bemerkt, vergebens nach ihr gefragt hatte. Sophiens Schmerz war keiner Worte faͤ- hig, die Obriſthofmeiſterin brauchte viele Muͤhe und Geduld, ehe ſie die Urſache ihres ſchrecklichen Zuſtandes erfahren konnte. Sie war eine aͤuſſerſt ſanfte und menſchenfreund- liche Dame, Sophiens Jammer ruͤhrte ihr

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Zitationshilfe: Spiess, Christian Heinrich: Biographien der Wahnsinnigen. Bd. 4. Leipzig, 1796, S. 21. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spiess_biographien04_1796/31>, abgerufen am 19.04.2024.