Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Spiess, Christian Heinrich: Biographien der Wahnsinnigen. Bd. 4. Leipzig, 1796.

Bild:
<< vorherige Seite

keit zu mehren, und durch reichliche Wohltha-
ten die Thränen der Armuth zu trocknen. Sie
ward bald in der ganzen Gegend als eine wohl-
thätige Gottheit verehrt, weil sie reichlich gab,
weil sie jedem zu helfen suchte, aber sie em-
pfand die Wonne, glücklich zu machen, nie in
seiner vollen Grösse, weil sie in jedem Bitten-
den ihren nothleidenden Gatten erblickte, ihn
eben so dürftig und hülflos dachte, und eben
dadurch zu neuer Trauer gereizt wurde.

Drei lange Jahre verflossen auf diese
Art -- -- Doch ehe ich weiter erzähle, muß
ich zuvor das Schicksal des entflohnen Grafen
enthüllen, und meinen Lesern kund machen:
wie er entfloh? wie er entfliehen konnte? --
Schwer ruhte der Gedanke, daß der Fürst
nicht edel, nur durch blinde Rache irre gelei-
tet, handle, auf dem Herzen der menschen-
freundlichen Fürstin. Sie kannte seinen Bieder-
sinn, seinen Edelmuth, sie war überzeugt, daß

keit zu mehren, und durch reichliche Wohltha-
ten die Thraͤnen der Armuth zu trocknen. Sie
ward bald in der ganzen Gegend als eine wohl-
thaͤtige Gottheit verehrt, weil ſie reichlich gab,
weil ſie jedem zu helfen ſuchte, aber ſie em-
pfand die Wonne, gluͤcklich zu machen, nie in
ſeiner vollen Groͤſſe, weil ſie in jedem Bitten-
den ihren nothleidenden Gatten erblickte, ihn
eben ſo duͤrftig und huͤlflos dachte, und eben
dadurch zu neuer Trauer gereizt wurde.

Drei lange Jahre verfloſſen auf dieſe
Art — — Doch ehe ich weiter erzaͤhle, muß
ich zuvor das Schickſal des entflohnen Grafen
enthuͤllen, und meinen Leſern kund machen:
wie er entfloh? wie er entfliehen konnte? —
Schwer ruhte der Gedanke, daß der Fuͤrſt
nicht edel, nur durch blinde Rache irre gelei-
tet, handle, auf dem Herzen der menſchen-
freundlichen Fuͤrſtin. Sie kannte ſeinen Bieder-
ſinn, ſeinen Edelmuth, ſie war uͤberzeugt, daß

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0147" n="137"/>
keit zu mehren, und durch reichliche Wohltha-<lb/>
ten die Thra&#x0364;nen der Armuth zu trocknen. Sie<lb/>
ward bald in der ganzen Gegend als eine wohl-<lb/>
tha&#x0364;tige Gottheit verehrt, weil &#x017F;ie reichlich gab,<lb/>
weil &#x017F;ie jedem zu helfen &#x017F;uchte, aber &#x017F;ie em-<lb/>
pfand die Wonne, glu&#x0364;cklich zu machen, nie in<lb/>
&#x017F;einer vollen Gro&#x0364;&#x017F;&#x017F;e, weil &#x017F;ie in jedem Bitten-<lb/>
den ihren nothleidenden Gatten erblickte, ihn<lb/>
eben &#x017F;o du&#x0364;rftig und hu&#x0364;lflos dachte, und eben<lb/>
dadurch zu neuer Trauer gereizt wurde.</p><lb/>
        <p>Drei lange Jahre verflo&#x017F;&#x017F;en auf die&#x017F;e<lb/>
Art &#x2014; &#x2014; Doch ehe ich weiter erza&#x0364;hle, muß<lb/>
ich zuvor das Schick&#x017F;al des entflohnen Grafen<lb/>
enthu&#x0364;llen, und meinen Le&#x017F;ern kund machen:<lb/>
wie er entfloh? wie er entfliehen konnte? &#x2014;<lb/>
Schwer ruhte der Gedanke, daß der Fu&#x0364;r&#x017F;t<lb/>
nicht edel, nur durch blinde Rache irre gelei-<lb/>
tet, handle, auf dem Herzen der men&#x017F;chen-<lb/>
freundlichen Fu&#x0364;r&#x017F;tin. Sie kannte &#x017F;einen Bieder-<lb/>
&#x017F;inn, &#x017F;einen Edelmuth, &#x017F;ie war u&#x0364;berzeugt, daß<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[137/0147] keit zu mehren, und durch reichliche Wohltha- ten die Thraͤnen der Armuth zu trocknen. Sie ward bald in der ganzen Gegend als eine wohl- thaͤtige Gottheit verehrt, weil ſie reichlich gab, weil ſie jedem zu helfen ſuchte, aber ſie em- pfand die Wonne, gluͤcklich zu machen, nie in ſeiner vollen Groͤſſe, weil ſie in jedem Bitten- den ihren nothleidenden Gatten erblickte, ihn eben ſo duͤrftig und huͤlflos dachte, und eben dadurch zu neuer Trauer gereizt wurde. Drei lange Jahre verfloſſen auf dieſe Art — — Doch ehe ich weiter erzaͤhle, muß ich zuvor das Schickſal des entflohnen Grafen enthuͤllen, und meinen Leſern kund machen: wie er entfloh? wie er entfliehen konnte? — Schwer ruhte der Gedanke, daß der Fuͤrſt nicht edel, nur durch blinde Rache irre gelei- tet, handle, auf dem Herzen der menſchen- freundlichen Fuͤrſtin. Sie kannte ſeinen Bieder- ſinn, ſeinen Edelmuth, ſie war uͤberzeugt, daß

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/spiess_biographien04_1796
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/spiess_biographien04_1796/147
Zitationshilfe: Spiess, Christian Heinrich: Biographien der Wahnsinnigen. Bd. 4. Leipzig, 1796, S. 137. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spiess_biographien04_1796/147>, abgerufen am 03.05.2024.