durch meine Gegenwart den unerträglichen Kummer zu versüssen. Ohne zu bedenken, daß dieses Hülfsmittel mir und ihr in der Folge gleich stark schädlich sein müsse, hofte ich mit ihr, und erhielte noch am nemlichen Tage von ihr den Zettel, welchen sie in mei- ner Schreibtafel gefunden und gelesen haben. Mein Vater liebte sie heftig, er konnte nicht ihren Bitten, noch weniger ihren Thränen widerstehen, sie hatte daher durch mancherlei Scheingründe, vorzüglich aber durch erstere, die Einwilligung zu meiner Rückkehr erhalten. Nur machte er's, als ich, ihrer Einladung getreu, wirklich rückkehrte, zur unverletzli- chen Bedingung, daß wir uns nie, als nur in seiner Gegenwart, sehen und sprechen soll- ten. Wir gelobten's, aber wir hielten es nicht.
Ich würde zu weitläuftig werden, wenn ich ihnen alle die Kunstgriffe erzählen wollte,
durch meine Gegenwart den unertraͤglichen Kummer zu verſuͤſſen. Ohne zu bedenken, daß dieſes Huͤlfsmittel mir und ihr in der Folge gleich ſtark ſchaͤdlich ſein muͤſſe, hofte ich mit ihr, und erhielte noch am nemlichen Tage von ihr den Zettel, welchen ſie in mei- ner Schreibtafel gefunden und geleſen haben. Mein Vater liebte ſie heftig, er konnte nicht ihren Bitten, noch weniger ihren Thraͤnen widerſtehen, ſie hatte daher durch mancherlei Scheingruͤnde, vorzuͤglich aber durch erſtere, die Einwilligung zu meiner Ruͤckkehr erhalten. Nur machte er's, als ich, ihrer Einladung getreu, wirklich ruͤckkehrte, zur unverletzli- chen Bedingung, daß wir uns nie, als nur in ſeiner Gegenwart, ſehen und ſprechen ſoll- ten. Wir gelobten's, aber wir hielten es nicht.
Ich wuͤrde zu weitlaͤuftig werden, wenn ich ihnen alle die Kunſtgriffe erzaͤhlen wollte,
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durch meine Gegenwart den unertraͤglichen
Kummer zu verſuͤſſen. Ohne zu bedenken,
daß dieſes Huͤlfsmittel mir und ihr in der
Folge gleich ſtark ſchaͤdlich ſein muͤſſe, hofte
ich mit ihr, und erhielte noch am nemlichen
Tage von ihr den Zettel, welchen ſie in mei-
ner Schreibtafel gefunden und geleſen haben.
Mein Vater liebte ſie heftig, er konnte nicht
ihren Bitten, noch weniger ihren Thraͤnen
widerſtehen, ſie hatte daher durch mancherlei
Scheingruͤnde, vorzuͤglich aber durch erſtere,
die Einwilligung zu meiner Ruͤckkehr erhalten.
Nur machte er's, als ich, ihrer Einladung
getreu, wirklich ruͤckkehrte, zur unverletzli-
chen Bedingung, daß wir uns nie, als nur
in ſeiner Gegenwart, ſehen und ſprechen ſoll-
ten. Wir gelobten's, aber wir hielten es
nicht.
Ich wuͤrde zu weitlaͤuftig werden, wenn
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Spiess, Christian Heinrich: Biographien der Wahnsinnigen. Bd. 3. Leipzig, 1796, S. 74. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spiess_biographien03_1796/88>, abgerufen am 23.11.2024.
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