Nach vier Wochen konnte sie zum ersten- male wieder im Garten umher schleichen, und die Reize des nahenden Herbstes genießen. Tod waren für sie seine Freuden, die er auf so vielerlei Art, auf so mancherlei Weise ge- währt. Ihr Herz war mit Sehnsucht, mit inniger Liebe gefüllt, sie fühlte es deutlich, daß sie nur in den Armen des Retters glück- lich leben, nur in diesen die Freuden der Natur genießen könne. Immer schwebte sein Bild vor ihren Augen, bald sah sie ihn, wie er mit männlicher Stärke den wüthenden Hund tödtete, noch öfterer, wie er sie in seinen Armen aus den Fluthen rettete. Ge- täuscht durch ihre lebhafte Einbildungskraft, schmiegte sie sich dann fest an seine Brust, und schauderte traurend zurück, wenn das angenehme Bild verschwand, sie verlassen und einsam da stand. Die Schreibtafel des Unbe- kannten, welche sie stets bei sich trug, war ihr ehe schon theuer, itzt theurer als alle
Nach vier Wochen konnte ſie zum erſten- male wieder im Garten umher ſchleichen, und die Reize des nahenden Herbſtes genießen. Tod waren fuͤr ſie ſeine Freuden, die er auf ſo vielerlei Art, auf ſo mancherlei Weiſe ge- waͤhrt. Ihr Herz war mit Sehnſucht, mit inniger Liebe gefuͤllt, ſie fuͤhlte es deutlich, daß ſie nur in den Armen des Retters gluͤck- lich leben, nur in dieſen die Freuden der Natur genießen koͤnne. Immer ſchwebte ſein Bild vor ihren Augen, bald ſah ſie ihn, wie er mit maͤnnlicher Staͤrke den wuͤthenden Hund toͤdtete, noch oͤfterer, wie er ſie in ſeinen Armen aus den Fluthen rettete. Ge- taͤuſcht durch ihre lebhafte Einbildungskraft, ſchmiegte ſie ſich dann feſt an ſeine Bruſt, und ſchauderte traurend zuruͤck, wenn das angenehme Bild verſchwand, ſie verlaſſen und einſam da ſtand. Die Schreibtafel des Unbe- kannten, welche ſie ſtets bei ſich trug, war ihr ehe ſchon theuer, itzt theurer als alle
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Nach vier Wochen konnte ſie zum erſten-
male wieder im Garten umher ſchleichen, und
die Reize des nahenden Herbſtes genießen. Tod
waren fuͤr ſie ſeine Freuden, die er auf ſo
vielerlei Art, auf ſo mancherlei Weiſe ge-
waͤhrt. Ihr Herz war mit Sehnſucht, mit
inniger Liebe gefuͤllt, ſie fuͤhlte es deutlich,
daß ſie nur in den Armen des Retters gluͤck-
lich leben, nur in dieſen die Freuden der
Natur genießen koͤnne. Immer ſchwebte ſein
Bild vor ihren Augen, bald ſah ſie ihn,
wie er mit maͤnnlicher Staͤrke den wuͤthenden
Hund toͤdtete, noch oͤfterer, wie er ſie in
ſeinen Armen aus den Fluthen rettete. Ge-
taͤuſcht durch ihre lebhafte Einbildungskraft,
ſchmiegte ſie ſich dann feſt an ſeine Bruſt,
und ſchauderte traurend zuruͤck, wenn das
angenehme Bild verſchwand, ſie verlaſſen und
einſam da ſtand. Die Schreibtafel des Unbe-
kannten, welche ſie ſtets bei ſich trug, war
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Spiess, Christian Heinrich: Biographien der Wahnsinnigen. Bd. 3. Leipzig, 1796, S. 37. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spiess_biographien03_1796/51>, abgerufen am 16.02.2025.
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