Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Spiess, Christian Heinrich: Biographien der Wahnsinnigen. Bd. 3. Leipzig, 1796.

Bild:
<< vorherige Seite

den, die Hungrigen zu speisen! Wie froh,
wie glücklich hätte der gute und redliche Va-
ter nun in der Mitte seiner Familie leben
können! Ich war so glücklich, sein Weib und
alle seine Kinder vom nahen Tode zu retten,
aber ihn -- dem ich so gerne geholfen hät-
te -- konnte ich nicht wiedergeben, was er
zur Rettung der Theuern opferte. Sein Ver-
stand war verlohren! Schon ein Anfall von
Wahnsinn mußte ihn verleitet haben, die Kan-
zel zu besteigen, er siegte ganz, als er seine
merkwürdige Rede vollendet hatte. Durch volle
drei Jahre raßte er unaufhörlich, ich mußte
ihn fesseln lassen, und vermochte seine Pein
gar nicht zu lindern.

Einst besuchte ihn -- was oft geschah --
sein Weib mit einigen ihren Kindern, sie
hatte sich auf meinen Rath von dem reichen
Almosen eine kleine Wirthschaft gekauft, und
jammerte diesmal lauter, als je, weil ihr

den, die Hungrigen zu ſpeiſen! Wie froh,
wie gluͤcklich haͤtte der gute und redliche Va-
ter nun in der Mitte ſeiner Familie leben
koͤnnen! Ich war ſo gluͤcklich, ſein Weib und
alle ſeine Kinder vom nahen Tode zu retten,
aber ihn — dem ich ſo gerne geholfen haͤt-
te — konnte ich nicht wiedergeben, was er
zur Rettung der Theuern opferte. Sein Ver-
ſtand war verlohren! Schon ein Anfall von
Wahnſinn mußte ihn verleitet haben, die Kan-
zel zu beſteigen, er ſiegte ganz, als er ſeine
merkwuͤrdige Rede vollendet hatte. Durch volle
drei Jahre raßte er unaufhoͤrlich, ich mußte
ihn feſſeln laſſen, und vermochte ſeine Pein
gar nicht zu lindern.

Einſt beſuchte ihn — was oft geſchah —
ſein Weib mit einigen ihren Kindern, ſie
hatte ſich auf meinen Rath von dem reichen
Almoſen eine kleine Wirthſchaft gekauft, und
jammerte diesmal lauter, als je, weil ihr

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0295" n="281"/>
den, die Hungrigen zu &#x017F;pei&#x017F;en! Wie froh,<lb/>
wie glu&#x0364;cklich ha&#x0364;tte der gute und redliche Va-<lb/>
ter nun in der Mitte &#x017F;einer Familie leben<lb/>
ko&#x0364;nnen! Ich war &#x017F;o glu&#x0364;cklich, &#x017F;ein Weib und<lb/>
alle &#x017F;eine Kinder vom nahen Tode zu retten,<lb/>
aber ihn &#x2014; dem ich &#x017F;o gerne geholfen ha&#x0364;t-<lb/>
te &#x2014; konnte ich nicht wiedergeben, was er<lb/>
zur Rettung der Theuern opferte. Sein Ver-<lb/>
&#x017F;tand war verlohren! Schon ein Anfall von<lb/>
Wahn&#x017F;inn mußte ihn verleitet haben, die Kan-<lb/>
zel zu be&#x017F;teigen, er &#x017F;iegte ganz, als er &#x017F;eine<lb/>
merkwu&#x0364;rdige Rede vollendet hatte. Durch volle<lb/>
drei Jahre raßte er unaufho&#x0364;rlich, ich mußte<lb/>
ihn fe&#x017F;&#x017F;eln la&#x017F;&#x017F;en, und vermochte &#x017F;eine Pein<lb/>
gar nicht zu lindern.</p><lb/>
        <p>Ein&#x017F;t be&#x017F;uchte ihn &#x2014; was oft ge&#x017F;chah &#x2014;<lb/>
&#x017F;ein Weib mit einigen ihren Kindern, &#x017F;ie<lb/>
hatte &#x017F;ich auf meinen Rath von dem reichen<lb/>
Almo&#x017F;en eine kleine Wirth&#x017F;chaft gekauft, und<lb/>
jammerte diesmal lauter, als je, weil ihr<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[281/0295] den, die Hungrigen zu ſpeiſen! Wie froh, wie gluͤcklich haͤtte der gute und redliche Va- ter nun in der Mitte ſeiner Familie leben koͤnnen! Ich war ſo gluͤcklich, ſein Weib und alle ſeine Kinder vom nahen Tode zu retten, aber ihn — dem ich ſo gerne geholfen haͤt- te — konnte ich nicht wiedergeben, was er zur Rettung der Theuern opferte. Sein Ver- ſtand war verlohren! Schon ein Anfall von Wahnſinn mußte ihn verleitet haben, die Kan- zel zu beſteigen, er ſiegte ganz, als er ſeine merkwuͤrdige Rede vollendet hatte. Durch volle drei Jahre raßte er unaufhoͤrlich, ich mußte ihn feſſeln laſſen, und vermochte ſeine Pein gar nicht zu lindern. Einſt beſuchte ihn — was oft geſchah — ſein Weib mit einigen ihren Kindern, ſie hatte ſich auf meinen Rath von dem reichen Almoſen eine kleine Wirthſchaft gekauft, und jammerte diesmal lauter, als je, weil ihr

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/spiess_biographien03_1796
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/spiess_biographien03_1796/295
Zitationshilfe: Spiess, Christian Heinrich: Biographien der Wahnsinnigen. Bd. 3. Leipzig, 1796, S. 281. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spiess_biographien03_1796/295>, abgerufen am 18.05.2024.