sten und lautesten, weil ich, wenn unser verdienstvoller Obristleutenant vorgerückt wä- re, eben so wahrscheinlich eine Hauptmanns- stelle erhalten hätte. Der junge Obriste er- fuhr alles, und ließ mirs bei jeder Gelegen- heit deutlich merken, daß er Rache üben würde.
Zufall und Gelegenheit machte ihn mit meiner Geliebten bekannt, sie hing noch im- mer mit seltner Treue an mir, aber ich sah's deutlich, daß auch er sie liebe, und mich durch falsche Versprechungen aus ihrem Her- zen zu verdrängen suchte. Ich duldete im Stillen, aber mein Rachegefühl mehrte sich oft so mächtig, daß nur meines Mädchens Kuß es unterdrücken konnte.
Wie ein halbes Jahr verflossen war, starb ein Hauptmann unsers Regiments, seine Stel- le konnte mir, meiner Meinung nach, gar
ſten und lauteſten, weil ich, wenn unſer verdienſtvoller Obriſtleutenant vorgeruͤckt waͤ- re, eben ſo wahrſcheinlich eine Hauptmanns- ſtelle erhalten haͤtte. Der junge Obriſte er- fuhr alles, und ließ mirs bei jeder Gelegen- heit deutlich merken, daß er Rache uͤben wuͤrde.
Zufall und Gelegenheit machte ihn mit meiner Geliebten bekannt, ſie hing noch im- mer mit ſeltner Treue an mir, aber ich ſah's deutlich, daß auch er ſie liebe, und mich durch falſche Verſprechungen aus ihrem Her- zen zu verdraͤngen ſuchte. Ich duldete im Stillen, aber mein Rachegefuͤhl mehrte ſich oft ſo maͤchtig, daß nur meines Maͤdchens Kuß es unterdruͤcken konnte.
Wie ein halbes Jahr verfloſſen war, ſtarb ein Hauptmann unſers Regiments, ſeine Stel- le konnte mir, meiner Meinung nach, gar
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0266"n="252"/>ſten und lauteſten, weil ich, wenn unſer<lb/>
verdienſtvoller Obriſtleutenant vorgeruͤckt waͤ-<lb/>
re, eben ſo wahrſcheinlich eine Hauptmanns-<lb/>ſtelle erhalten haͤtte. Der junge Obriſte er-<lb/>
fuhr alles, und ließ mirs bei jeder Gelegen-<lb/>
heit deutlich merken, daß er Rache uͤben<lb/>
wuͤrde.</p><lb/><p>Zufall und Gelegenheit machte ihn mit<lb/>
meiner Geliebten bekannt, ſie hing noch im-<lb/>
mer mit ſeltner Treue an mir, aber ich ſah's<lb/>
deutlich, daß auch er ſie liebe, und mich<lb/>
durch falſche Verſprechungen aus ihrem Her-<lb/>
zen zu verdraͤngen ſuchte. Ich duldete im<lb/>
Stillen, aber mein Rachegefuͤhl mehrte ſich<lb/>
oft ſo maͤchtig, daß nur meines Maͤdchens<lb/>
Kuß es unterdruͤcken konnte.</p><lb/><p>Wie ein halbes Jahr verfloſſen war, ſtarb<lb/>
ein Hauptmann unſers Regiments, ſeine Stel-<lb/>
le konnte mir, meiner Meinung nach, gar<lb/></p></div></body></text></TEI>
[252/0266]
ſten und lauteſten, weil ich, wenn unſer
verdienſtvoller Obriſtleutenant vorgeruͤckt waͤ-
re, eben ſo wahrſcheinlich eine Hauptmanns-
ſtelle erhalten haͤtte. Der junge Obriſte er-
fuhr alles, und ließ mirs bei jeder Gelegen-
heit deutlich merken, daß er Rache uͤben
wuͤrde.
Zufall und Gelegenheit machte ihn mit
meiner Geliebten bekannt, ſie hing noch im-
mer mit ſeltner Treue an mir, aber ich ſah's
deutlich, daß auch er ſie liebe, und mich
durch falſche Verſprechungen aus ihrem Her-
zen zu verdraͤngen ſuchte. Ich duldete im
Stillen, aber mein Rachegefuͤhl mehrte ſich
oft ſo maͤchtig, daß nur meines Maͤdchens
Kuß es unterdruͤcken konnte.
Wie ein halbes Jahr verfloſſen war, ſtarb
ein Hauptmann unſers Regiments, ſeine Stel-
le konnte mir, meiner Meinung nach, gar
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Spiess, Christian Heinrich: Biographien der Wahnsinnigen. Bd. 3. Leipzig, 1796, S. 252. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spiess_biographien03_1796/266>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.