Hofnung lindern, denn sein Verstand wird nie wiederkehren.
Nur mit anhaltender Sorgfalt konnte ich seine immer dauernde Raserei mindern, aber sie kehrt noch oft zurück, und er muß aus nothwendiger Vorsicht Fesseln tragen. Ich darf es ihm nie an Papier und Schreibge- räthe mangeln lassen, dies beruhigt ihn mehr, als alle Arzeneien, er rechnet dann ohne Unterlaß, spricht immer: Eins und Eins ist Eins, und wenn ich oder ein anderer ihm zurufe: Ist zwei! so scheint zwar, ein noch glimmender Funke seiner Vernunft die Wahrheit zu fassen, aber sie schwindet oft in dem Augenblicke wieder, in welchem er sie zu fassen sucht.
Mein Gefühl fand keine Worte, ich weih- te dem Unglücklichen eine Thräne, und folgte stillschweigend zum dritten Gemache.
O. 2
Hofnung lindern, denn ſein Verſtand wird nie wiederkehren.
Nur mit anhaltender Sorgfalt konnte ich ſeine immer dauernde Raſerei mindern, aber ſie kehrt noch oft zuruͤck, und er muß aus nothwendiger Vorſicht Feſſeln tragen. Ich darf es ihm nie an Papier und Schreibge- raͤthe mangeln laſſen, dies beruhigt ihn mehr, als alle Arzeneien, er rechnet dann ohne Unterlaß, ſpricht immer: Eins und Eins iſt Eins, und wenn ich oder ein anderer ihm zurufe: Iſt zwei! ſo ſcheint zwar, ein noch glimmender Funke ſeiner Vernunft die Wahrheit zu faſſen, aber ſie ſchwindet oft in dem Augenblicke wieder, in welchem er ſie zu faſſen ſucht.
Mein Gefuͤhl fand keine Worte, ich weih- te dem Ungluͤcklichen eine Thraͤne, und folgte ſtillſchweigend zum dritten Gemache.
O. 2
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Hofnung lindern, denn ſein Verſtand wird
nie wiederkehren.
Nur mit anhaltender Sorgfalt konnte ich
ſeine immer dauernde Raſerei mindern, aber
ſie kehrt noch oft zuruͤck, und er muß aus
nothwendiger Vorſicht Feſſeln tragen. Ich
darf es ihm nie an Papier und Schreibge-
raͤthe mangeln laſſen, dies beruhigt ihn mehr,
als alle Arzeneien, er rechnet dann ohne
Unterlaß, ſpricht immer: Eins und Eins
iſt Eins, und wenn ich oder ein anderer
ihm zurufe: Iſt zwei! ſo ſcheint zwar, ein
noch glimmender Funke ſeiner Vernunft die
Wahrheit zu faſſen, aber ſie ſchwindet oft in
dem Augenblicke wieder, in welchem er ſie zu
faſſen ſucht.
Mein Gefuͤhl fand keine Worte, ich weih-
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Spiess, Christian Heinrich: Biographien der Wahnsinnigen. Bd. 3. Leipzig, 1796, S. 243. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spiess_biographien03_1796/257>, abgerufen am 24.11.2024.
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