erste Frage war nach Marien. Sie lebte nicht mehr, hatte einige Monate vorher ihr Jammerleben vollendet. Häufiger Widerspruch hatte sie am Ende rasend gemacht, sie war, mit Ketten belastet, gestorben. Die Idee ihres Wahnsiuues wich auch in der Todes- stunde nicht, als der Priester zu ihr ins Zim- mer trat, streckte sie ihre Arme nach ihm aus, rief: Mein Gemahl, bist du da? und verschied!
Ihr Vater war schon vorher gestorben. Kummer über seine unglückliche Tochter, und spätere Ueberzeugung, daß ihre Stiefmutter würklich die ganze Ursache ihres Unglücks war, hatte seinen Tod befördert. Niemand weinte an seinem Grabe, denn sein Kind, welches er, ungeachtet seines Wahnsinnes, zum Erben seines Vermögens eingesezt hat- te, fühlte seinen Verlust nicht, und die treulose Gattin war frech genug, ihre Freude
erſte Frage war nach Marien. Sie lebte nicht mehr, hatte einige Monate vorher ihr Jammerleben vollendet. Haͤufiger Widerſpruch hatte ſie am Ende raſend gemacht, ſie war, mit Ketten belaſtet, geſtorben. Die Idee ihres Wahnſiuues wich auch in der Todes- ſtunde nicht, als der Prieſter zu ihr ins Zim- mer trat, ſtreckte ſie ihre Arme nach ihm aus, rief: Mein Gemahl, biſt du da? und verſchied!
Ihr Vater war ſchon vorher geſtorben. Kummer uͤber ſeine ungluͤckliche Tochter, und ſpaͤtere Ueberzeugung, daß ihre Stiefmutter wuͤrklich die ganze Urſache ihres Ungluͤcks war, hatte ſeinen Tod befoͤrdert. Niemand weinte an ſeinem Grabe, denn ſein Kind, welches er, ungeachtet ſeines Wahnſinnes, zum Erben ſeines Vermoͤgens eingeſezt hat- te, fuͤhlte ſeinen Verluſt nicht, und die treuloſe Gattin war frech genug, ihre Freude
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[221[205]/0219]
erſte Frage war nach Marien. Sie lebte
nicht mehr, hatte einige Monate vorher ihr
Jammerleben vollendet. Haͤufiger Widerſpruch
hatte ſie am Ende raſend gemacht, ſie war,
mit Ketten belaſtet, geſtorben. Die Idee
ihres Wahnſiuues wich auch in der Todes-
ſtunde nicht, als der Prieſter zu ihr ins Zim-
mer trat, ſtreckte ſie ihre Arme nach ihm
aus, rief: Mein Gemahl, biſt du da? und
verſchied!
Ihr Vater war ſchon vorher geſtorben.
Kummer uͤber ſeine ungluͤckliche Tochter, und
ſpaͤtere Ueberzeugung, daß ihre Stiefmutter
wuͤrklich die ganze Urſache ihres Ungluͤcks
war, hatte ſeinen Tod befoͤrdert. Niemand
weinte an ſeinem Grabe, denn ſein Kind,
welches er, ungeachtet ſeines Wahnſinnes,
zum Erben ſeines Vermoͤgens eingeſezt hat-
te, fuͤhlte ſeinen Verluſt nicht, und die
treuloſe Gattin war frech genug, ihre Freude
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Spiess, Christian Heinrich: Biographien der Wahnsinnigen. Bd. 3. Leipzig, 1796, S. 221[205]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spiess_biographien03_1796/219>, abgerufen am 24.11.2024.
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