sehr, ihnen solchen allein zu überreichen. Als er fortging, öfnete ihn Amalie ahn- dungsvoll und schaudernd.
"Mein unerbittliches Schicksal, stand mit Bleistift darauf geschrieben, zwingt mich zur neuen Flucht. Sie wird mir beinahe unmög- lich, zentnerschwer hängts au meinen Füßen, aber ich muß fliehen, wenn ich nicht ganz unglücklich werden will. Erfährt mein grim- miger Vater meinen Aufenthalt, so ist schmähliches Gefängniß mein unverdientes Loos! O daß ich nicht ganz aufrichtig mit ihnen sprach, sie nicht wenigstens bat, meine unglückliche Geschichte ihren Eltern zu ver- schweigen; aber es ist geschehen, und ich muß fliehen. Ich war einige Augenblicke gränzenlos glücklich, um mein künftiges, im- mer dauerndes Unglück recht lebhaft fühlen zu können. Sicher wird mein Vater heute mit dem ihrigen auf dem Schlosse anlangen,
ſehr, ihnen ſolchen allein zu uͤberreichen. Als er fortging, oͤfnete ihn Amalie ahn- dungsvoll und ſchaudernd.
„Mein unerbittliches Schickſal, ſtand mit Bleiſtift darauf geſchrieben, zwingt mich zur neuen Flucht. Sie wird mir beinahe unmoͤg- lich, zentnerſchwer haͤngts au meinen Fuͤßen, aber ich muß fliehen, wenn ich nicht ganz ungluͤcklich werden will. Erfaͤhrt mein grim- miger Vater meinen Aufenthalt, ſo iſt ſchmaͤhliches Gefaͤngniß mein unverdientes Loos! O daß ich nicht ganz aufrichtig mit ihnen ſprach, ſie nicht wenigſtens bat, meine ungluͤckliche Geſchichte ihren Eltern zu ver- ſchweigen; aber es iſt geſchehen, und ich muß fliehen. Ich war einige Augenblicke graͤnzenlos gluͤcklich, um mein kuͤnftiges, im- mer dauerndes Ungluͤck recht lebhaft fuͤhlen zu koͤnnen. Sicher wird mein Vater heute mit dem ihrigen auf dem Schloſſe anlangen,
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ſehr, ihnen ſolchen allein zu uͤberreichen.
Als er fortging, oͤfnete ihn Amalie ahn-
dungsvoll und ſchaudernd.
„Mein unerbittliches Schickſal, ſtand mit
Bleiſtift darauf geſchrieben, zwingt mich zur
neuen Flucht. Sie wird mir beinahe unmoͤg-
lich, zentnerſchwer haͤngts au meinen Fuͤßen,
aber ich muß fliehen, wenn ich nicht ganz
ungluͤcklich werden will. Erfaͤhrt mein grim-
miger Vater meinen Aufenthalt, ſo iſt
ſchmaͤhliches Gefaͤngniß mein unverdientes
Loos! O daß ich nicht ganz aufrichtig mit
ihnen ſprach, ſie nicht wenigſtens bat, meine
ungluͤckliche Geſchichte ihren Eltern zu ver-
ſchweigen; aber es iſt geſchehen, und ich
muß fliehen. Ich war einige Augenblicke
graͤnzenlos gluͤcklich, um mein kuͤnftiges, im-
mer dauerndes Ungluͤck recht lebhaft fuͤhlen
zu koͤnnen. Sicher wird mein Vater heute
mit dem ihrigen auf dem Schloſſe anlangen,
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Spiess, Christian Heinrich: Biographien der Wahnsinnigen. Bd. 3. Leipzig, 1796, S. 95. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spiess_biographien03_1796/109>, abgerufen am 21.11.2024.
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