Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Spiess, Christian Heinrich: Biographien der Wahnsinnigen. Bd. 2. Leipzig, 1796.

Bild:
<< vorherige Seite
und unvorbereitet verlassen hatte. Das große
Vertrauen, welches sie sich durch ihre große Fröm-
migkeit bei allen Nonnen erwarb, würde jeden
Verdacht einer absichtlichen Flucht verhindert ha-
ben, wenn jene nicht kurz nachher ihr Nonnen-
kleid im Winkel der Kapelle und in demselben
Friedrichs Brief gefunden hätten. Sie sandten
diesen, weil sie ihn nicht lesen konnten, durch
schnelle Bothen an ihren Propst, und erhielten
bald eine getreue Uebersetzung, welche ihre wirk-
liche Flucht ganz bestätigte. Anfangs trösteten
sich die Nonnen sehr leicht über den Verlust einer
Meineidigen, die ihnen ihr ganzes und großes
Vermögen zum Opfer und Ersatze hinterlassen
hatte; als aber ein halbes Jahr nachher die Aeb-
tissin die Interessen dieser Kapitalien erheben woll-
te, und die Inhaber derselben sich weigerten, sie
gegen die Quittung des Klosters auszuzahlen, da
sahen sie erst ein, daß ohne Karolinens Rückkehr
auch dieses ganze, ansehnliche Vermögen für sie
verlohren sei. Karoline hatte schon, als sie zu
P -- Christin wurde, nach dem Rathe der dor-
tigen Nonnen ihr ganzes Vermögen wieder in
verschiedenen Banken zinsbar angelegt, sie über-
gab, als sie zu D -- wirklich Nonne wurde,
zwar alle Obligationen und Versicherungsscheine
der Aebtissin, da diese aber ihr auf Lebenszeit den
Genuß aller Interessen zugesichert hatte, so stellte
Karoline noch immer die Quittungen darüber aus,
und die Aebtissin hielt es bisher vielleicht aus ge-
und unvorbereitet verlaſſen hatte. Das große
Vertrauen, welches ſie ſich durch ihre große Froͤm-
migkeit bei allen Nonnen erwarb, wuͤrde jeden
Verdacht einer abſichtlichen Flucht verhindert ha-
ben, wenn jene nicht kurz nachher ihr Nonnen-
kleid im Winkel der Kapelle und in demſelben
Friedrichs Brief gefunden haͤtten. Sie ſandten
dieſen, weil ſie ihn nicht leſen konnten, durch
ſchnelle Bothen an ihren Propſt, und erhielten
bald eine getreue Ueberſetzung, welche ihre wirk-
liche Flucht ganz beſtaͤtigte. Anfangs troͤſteten
ſich die Nonnen ſehr leicht uͤber den Verluſt einer
Meineidigen, die ihnen ihr ganzes und großes
Vermoͤgen zum Opfer und Erſatze hinterlaſſen
hatte; als aber ein halbes Jahr nachher die Aeb-
tiſſin die Intereſſen dieſer Kapitalien erheben woll-
te, und die Inhaber derſelben ſich weigerten, ſie
gegen die Quittung des Kloſters auszuzahlen, da
ſahen ſie erſt ein, daß ohne Karolinens Ruͤckkehr
auch dieſes ganze, anſehnliche Vermoͤgen fuͤr ſie
verlohren ſei. Karoline hatte ſchon, als ſie zu
P — Chriſtin wurde, nach dem Rathe der dor-
tigen Nonnen ihr ganzes Vermoͤgen wieder in
verſchiedenen Banken zinsbar angelegt, ſie uͤber-
gab, als ſie zu D — wirklich Nonne wurde,
zwar alle Obligationen und Verſicherungsſcheine
der Aebtiſſin, da dieſe aber ihr auf Lebenszeit den
Genuß aller Intereſſen zugeſichert hatte, ſo ſtellte
Karoline noch immer die Quittungen daruͤber aus,
und die Aebtiſſin hielt es bisher vielleicht aus ge-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <sp who="#FRIED">
          <p><pb facs="#f0055" n="47"/>
und unvorbereitet verla&#x017F;&#x017F;en hatte. Das große<lb/>
Vertrauen, welches &#x017F;ie &#x017F;ich durch ihre große Fro&#x0364;m-<lb/>
migkeit bei allen Nonnen erwarb, wu&#x0364;rde jeden<lb/>
Verdacht einer ab&#x017F;ichtlichen Flucht verhindert ha-<lb/>
ben, wenn jene nicht kurz nachher ihr Nonnen-<lb/>
kleid im Winkel der Kapelle und in dem&#x017F;elben<lb/>
Friedrichs Brief gefunden ha&#x0364;tten. Sie &#x017F;andten<lb/>
die&#x017F;en, weil &#x017F;ie ihn nicht le&#x017F;en konnten, durch<lb/>
&#x017F;chnelle Bothen an ihren Prop&#x017F;t, und erhielten<lb/>
bald eine getreue Ueber&#x017F;etzung, welche ihre wirk-<lb/>
liche Flucht ganz be&#x017F;ta&#x0364;tigte. Anfangs tro&#x0364;&#x017F;teten<lb/>
&#x017F;ich die Nonnen &#x017F;ehr leicht u&#x0364;ber den Verlu&#x017F;t einer<lb/>
Meineidigen, die ihnen ihr ganzes und großes<lb/>
Vermo&#x0364;gen zum Opfer und Er&#x017F;atze hinterla&#x017F;&#x017F;en<lb/>
hatte; als aber ein halbes Jahr nachher die Aeb-<lb/>
ti&#x017F;&#x017F;in die Intere&#x017F;&#x017F;en die&#x017F;er Kapitalien erheben woll-<lb/>
te, und die Inhaber der&#x017F;elben &#x017F;ich weigerten, &#x017F;ie<lb/>
gegen die Quittung des Klo&#x017F;ters auszuzahlen, da<lb/>
&#x017F;ahen &#x017F;ie er&#x017F;t ein, daß ohne Karolinens Ru&#x0364;ckkehr<lb/>
auch die&#x017F;es ganze, an&#x017F;ehnliche Vermo&#x0364;gen fu&#x0364;r &#x017F;ie<lb/>
verlohren &#x017F;ei. Karoline hatte &#x017F;chon, als &#x017F;ie zu<lb/>
P &#x2014; Chri&#x017F;tin wurde, nach dem Rathe der dor-<lb/>
tigen Nonnen ihr ganzes Vermo&#x0364;gen wieder in<lb/>
ver&#x017F;chiedenen Banken zinsbar angelegt, &#x017F;ie u&#x0364;ber-<lb/>
gab, als &#x017F;ie zu D &#x2014; wirklich Nonne wurde,<lb/>
zwar alle Obligationen und Ver&#x017F;icherungs&#x017F;cheine<lb/>
der Aebti&#x017F;&#x017F;in, da die&#x017F;e aber ihr auf Lebenszeit den<lb/>
Genuß aller Intere&#x017F;&#x017F;en zuge&#x017F;ichert hatte, &#x017F;o &#x017F;tellte<lb/>
Karoline noch immer die Quittungen daru&#x0364;ber aus,<lb/>
und die Aebti&#x017F;&#x017F;in hielt es bisher vielleicht aus ge-<lb/></p>
        </sp>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[47/0055] und unvorbereitet verlaſſen hatte. Das große Vertrauen, welches ſie ſich durch ihre große Froͤm- migkeit bei allen Nonnen erwarb, wuͤrde jeden Verdacht einer abſichtlichen Flucht verhindert ha- ben, wenn jene nicht kurz nachher ihr Nonnen- kleid im Winkel der Kapelle und in demſelben Friedrichs Brief gefunden haͤtten. Sie ſandten dieſen, weil ſie ihn nicht leſen konnten, durch ſchnelle Bothen an ihren Propſt, und erhielten bald eine getreue Ueberſetzung, welche ihre wirk- liche Flucht ganz beſtaͤtigte. Anfangs troͤſteten ſich die Nonnen ſehr leicht uͤber den Verluſt einer Meineidigen, die ihnen ihr ganzes und großes Vermoͤgen zum Opfer und Erſatze hinterlaſſen hatte; als aber ein halbes Jahr nachher die Aeb- tiſſin die Intereſſen dieſer Kapitalien erheben woll- te, und die Inhaber derſelben ſich weigerten, ſie gegen die Quittung des Kloſters auszuzahlen, da ſahen ſie erſt ein, daß ohne Karolinens Ruͤckkehr auch dieſes ganze, anſehnliche Vermoͤgen fuͤr ſie verlohren ſei. Karoline hatte ſchon, als ſie zu P — Chriſtin wurde, nach dem Rathe der dor- tigen Nonnen ihr ganzes Vermoͤgen wieder in verſchiedenen Banken zinsbar angelegt, ſie uͤber- gab, als ſie zu D — wirklich Nonne wurde, zwar alle Obligationen und Verſicherungsſcheine der Aebtiſſin, da dieſe aber ihr auf Lebenszeit den Genuß aller Intereſſen zugeſichert hatte, ſo ſtellte Karoline noch immer die Quittungen daruͤber aus, und die Aebtiſſin hielt es bisher vielleicht aus ge-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/spiess_biographien02_1796
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/spiess_biographien02_1796/55
Zitationshilfe: Spiess, Christian Heinrich: Biographien der Wahnsinnigen. Bd. 2. Leipzig, 1796, S. 47. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spiess_biographien02_1796/55>, abgerufen am 08.05.2024.