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Spiess, Christian Heinrich: Biographien der Wahnsinnigen. Bd. 2. Leipzig, 1796.

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ihm Zeit zu gönnen, daß er seine Sünden beich-
ten könne. Er schwur den kräftigsten Eid, daß
er uns nicht verrathen, vielmehr alles beitragen
wolle, um den Verdacht zu entfernen.

Ich konnte nicht länger widerstehen, die voll-
brachte That hatte quälende Reue in mir erweckt,
auch der Bube zitterte und bebte, bat mich
selbst, seine Bitte zu erfüllen. Auf mein Geheiß
eilte er ins Dorf, um einige Träger herbei zu ru-
fen, weil Angst und Schrecken uns unfähig mach-
te, ihn fortzutragen.

Ich wollte ihn nur nach dem nächsten Bau-
ernhof tragen, und dorthin einen Priester rufen
lassen; da er aber in Gegenwart aller derjenigen,
welche der Bube herbeigerufen hatte, den Wunsch
äusserte, sein Weib nur noch einmal zu sehen, so
konnte ichs nicht verhindern, daß sie seine letzte
Bitte ehrten. Er sah meine Verlegenheit, merkte
meine Angst, und lispelte mir, als ich ihn in die
Höhe hob, leise zu, daß er seinen Schwur halten,
mich mit keiner Miene verrathen würde.

Diese neue Versicherung stärkte mich kräftig,
und machte mich fähig, ruhig das Ende abzuwar-
ten. Ich wich nicht von seinem Lager, so lange
er lebte; trat nur dann abseits, als er beichtete,
und bin fest überzeugt, daß er nicht mein Verrä-
ther ward. Gott hat es anders gelenkt, und ich
danke ihm herzlich, weil er mich hier dulden läßt,
was ich vielleicht einst dort ewig büßen müßte.


Zweit. Bändch. M

ihm Zeit zu goͤnnen, daß er ſeine Suͤnden beich-
ten koͤnne. Er ſchwur den kraͤftigſten Eid, daß
er uns nicht verrathen, vielmehr alles beitragen
wolle, um den Verdacht zu entfernen.

Ich konnte nicht laͤnger widerſtehen, die voll-
brachte That hatte quaͤlende Reue in mir erweckt,
auch der Bube zitterte und bebte, bat mich
ſelbſt, ſeine Bitte zu erfuͤllen. Auf mein Geheiß
eilte er ins Dorf, um einige Traͤger herbei zu ru-
fen, weil Angſt und Schrecken uns unfaͤhig mach-
te, ihn fortzutragen.

Ich wollte ihn nur nach dem naͤchſten Bau-
ernhof tragen, und dorthin einen Prieſter rufen
laſſen; da er aber in Gegenwart aller derjenigen,
welche der Bube herbeigerufen hatte, den Wunſch
aͤuſſerte, ſein Weib nur noch einmal zu ſehen, ſo
konnte ichs nicht verhindern, daß ſie ſeine letzte
Bitte ehrten. Er ſah meine Verlegenheit, merkte
meine Angſt, und lispelte mir, als ich ihn in die
Hoͤhe hob, leiſe zu, daß er ſeinen Schwur halten,
mich mit keiner Miene verrathen wuͤrde.

Dieſe neue Verſicherung ſtaͤrkte mich kraͤftig,
und machte mich faͤhig, ruhig das Ende abzuwar-
ten. Ich wich nicht von ſeinem Lager, ſo lange
er lebte; trat nur dann abſeits, als er beichtete,
und bin feſt uͤberzeugt, daß er nicht mein Verraͤ-
ther ward. Gott hat es anders gelenkt, und ich
danke ihm herzlich, weil er mich hier dulden laͤßt,
was ich vielleicht einſt dort ewig buͤßen muͤßte.


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[177/0185] ihm Zeit zu goͤnnen, daß er ſeine Suͤnden beich- ten koͤnne. Er ſchwur den kraͤftigſten Eid, daß er uns nicht verrathen, vielmehr alles beitragen wolle, um den Verdacht zu entfernen. Ich konnte nicht laͤnger widerſtehen, die voll- brachte That hatte quaͤlende Reue in mir erweckt, auch der Bube zitterte und bebte, bat mich ſelbſt, ſeine Bitte zu erfuͤllen. Auf mein Geheiß eilte er ins Dorf, um einige Traͤger herbei zu ru- fen, weil Angſt und Schrecken uns unfaͤhig mach- te, ihn fortzutragen. Ich wollte ihn nur nach dem naͤchſten Bau- ernhof tragen, und dorthin einen Prieſter rufen laſſen; da er aber in Gegenwart aller derjenigen, welche der Bube herbeigerufen hatte, den Wunſch aͤuſſerte, ſein Weib nur noch einmal zu ſehen, ſo konnte ichs nicht verhindern, daß ſie ſeine letzte Bitte ehrten. Er ſah meine Verlegenheit, merkte meine Angſt, und lispelte mir, als ich ihn in die Hoͤhe hob, leiſe zu, daß er ſeinen Schwur halten, mich mit keiner Miene verrathen wuͤrde. Dieſe neue Verſicherung ſtaͤrkte mich kraͤftig, und machte mich faͤhig, ruhig das Ende abzuwar- ten. Ich wich nicht von ſeinem Lager, ſo lange er lebte; trat nur dann abſeits, als er beichtete, und bin feſt uͤberzeugt, daß er nicht mein Verraͤ- ther ward. Gott hat es anders gelenkt, und ich danke ihm herzlich, weil er mich hier dulden laͤßt, was ich vielleicht einſt dort ewig buͤßen muͤßte. Zweit. Baͤndch. M

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Zitationshilfe: Spiess, Christian Heinrich: Biographien der Wahnsinnigen. Bd. 2. Leipzig, 1796, S. 177. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spiess_biographien02_1796/185>, abgerufen am 22.11.2024.