Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Spiess, Christian Heinrich: Biographien der Wahnsinnigen. Bd. 2. Leipzig, 1796.

Bild:
<< vorherige Seite

ten, nebenbei auch den besten Willen habe, die
verlaßne Wittwe zu heirathen. Der Gutsherr
schien sich dessen zu freuen, und folgte der Leiche,
welche wieder zurückgetragen wurde. Auf seinen
Befehl erschien der Wundarzt, die Wunde ward
genau untersucht, und bald wurden alle Anwesen-
de überzeugt, daß diese Untersuchung den Mör-
der des Unglücklichen entdecken würde.

Der Wundarzt fand in der Wunde, welche
durch die linke Seite bis in den Magen drang,
zwei kleine runde Schellen, die man den Schafen
umzuhängen pflegt, und durch welche die Wunde
war verursacht worden. Erwiesen war es nun,
daß den Unglücklichen kein Gränzwächter getödtet
habe, weil diese mit gewöhnlichen Kugeln verse-
hen sind, und ganz natürlich war die Vermu-
thung, daß der Knecht, welcher ihm entgegen
gieng, der Thäter seyn müsse.

Dieser ward sogleich vorgerufen, er bebte zu-
rück, als man ihm den Beweiß vorlegte, und ge-
stand kurz nachher, daß er wirklich der Mörder
seines Herrn sei. Lange schon: so erzählte er im
gerichtlichen Verhöre, liebte ich die Frau meines
Meisters, ich kämpfte oft mit dieser Leidenschaft,
aber ich konnte sie nicht überwinden. Wenn ich
hinter der Heerde gieng, und mich auf alle Art
zu zerstreuen suchte, so sah ich immer ihr Bild
vor mir, konnte es nicht wegbeten, nicht wegflu-
chen. Erfahrung lehrte mich, daß sie ihren Gat-
ten zärtlich liebe, und eben diese heftige Liebe er-

ten, nebenbei auch den beſten Willen habe, die
verlaßne Wittwe zu heirathen. Der Gutsherr
ſchien ſich deſſen zu freuen, und folgte der Leiche,
welche wieder zuruͤckgetragen wurde. Auf ſeinen
Befehl erſchien der Wundarzt, die Wunde ward
genau unterſucht, und bald wurden alle Anweſen-
de uͤberzeugt, daß dieſe Unterſuchung den Moͤr-
der des Ungluͤcklichen entdecken wuͤrde.

Der Wundarzt fand in der Wunde, welche
durch die linke Seite bis in den Magen drang,
zwei kleine runde Schellen, die man den Schafen
umzuhaͤngen pflegt, und durch welche die Wunde
war verurſacht worden. Erwieſen war es nun,
daß den Ungluͤcklichen kein Graͤnzwaͤchter getoͤdtet
habe, weil dieſe mit gewoͤhnlichen Kugeln verſe-
hen ſind, und ganz natuͤrlich war die Vermu-
thung, daß der Knecht, welcher ihm entgegen
gieng, der Thaͤter ſeyn muͤſſe.

Dieſer ward ſogleich vorgerufen, er bebte zu-
ruͤck, als man ihm den Beweiß vorlegte, und ge-
ſtand kurz nachher, daß er wirklich der Moͤrder
ſeines Herrn ſei. Lange ſchon: ſo erzaͤhlte er im
gerichtlichen Verhoͤre, liebte ich die Frau meines
Meiſters, ich kaͤmpfte oft mit dieſer Leidenſchaft,
aber ich konnte ſie nicht uͤberwinden. Wenn ich
hinter der Heerde gieng, und mich auf alle Art
zu zerſtreuen ſuchte, ſo ſah ich immer ihr Bild
vor mir, konnte es nicht wegbeten, nicht wegflu-
chen. Erfahrung lehrte mich, daß ſie ihren Gat-
ten zaͤrtlich liebe, und eben dieſe heftige Liebe er-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0180" n="172"/>
ten, nebenbei auch den be&#x017F;ten Willen habe, die<lb/>
verlaßne Wittwe zu heirathen. Der Gutsherr<lb/>
&#x017F;chien &#x017F;ich de&#x017F;&#x017F;en zu freuen, und folgte der Leiche,<lb/>
welche wieder zuru&#x0364;ckgetragen wurde. Auf &#x017F;einen<lb/>
Befehl er&#x017F;chien der Wundarzt, die Wunde ward<lb/>
genau unter&#x017F;ucht, und bald wurden alle Anwe&#x017F;en-<lb/>
de u&#x0364;berzeugt, daß die&#x017F;e Unter&#x017F;uchung den Mo&#x0364;r-<lb/>
der des Unglu&#x0364;cklichen entdecken wu&#x0364;rde.</p><lb/>
        <p>Der Wundarzt fand in der Wunde, welche<lb/>
durch die linke Seite bis in den Magen drang,<lb/>
zwei kleine runde Schellen, die man den Schafen<lb/>
umzuha&#x0364;ngen pflegt, und durch welche die Wunde<lb/>
war verur&#x017F;acht worden. Erwie&#x017F;en war es nun,<lb/>
daß den Unglu&#x0364;cklichen kein Gra&#x0364;nzwa&#x0364;chter geto&#x0364;dtet<lb/>
habe, weil die&#x017F;e mit gewo&#x0364;hnlichen Kugeln ver&#x017F;e-<lb/>
hen &#x017F;ind, und ganz natu&#x0364;rlich war die Vermu-<lb/>
thung, daß der Knecht, welcher ihm entgegen<lb/>
gieng, der Tha&#x0364;ter &#x017F;eyn mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;e.</p><lb/>
        <p>Die&#x017F;er ward &#x017F;ogleich vorgerufen, er bebte zu-<lb/>
ru&#x0364;ck, als man ihm den Beweiß vorlegte, und ge-<lb/>
&#x017F;tand kurz nachher, daß er wirklich der Mo&#x0364;rder<lb/>
&#x017F;eines Herrn &#x017F;ei. Lange &#x017F;chon: &#x017F;o erza&#x0364;hlte er im<lb/>
gerichtlichen Verho&#x0364;re, liebte ich die Frau meines<lb/>
Mei&#x017F;ters, ich ka&#x0364;mpfte oft mit die&#x017F;er Leiden&#x017F;chaft,<lb/>
aber ich konnte &#x017F;ie nicht u&#x0364;berwinden. Wenn ich<lb/>
hinter der Heerde gieng, und mich auf alle Art<lb/>
zu zer&#x017F;treuen &#x017F;uchte, &#x017F;o &#x017F;ah ich immer ihr Bild<lb/>
vor mir, konnte es nicht wegbeten, nicht wegflu-<lb/>
chen. Erfahrung lehrte mich, daß &#x017F;ie ihren Gat-<lb/>
ten za&#x0364;rtlich liebe, und eben die&#x017F;e heftige Liebe er-<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[172/0180] ten, nebenbei auch den beſten Willen habe, die verlaßne Wittwe zu heirathen. Der Gutsherr ſchien ſich deſſen zu freuen, und folgte der Leiche, welche wieder zuruͤckgetragen wurde. Auf ſeinen Befehl erſchien der Wundarzt, die Wunde ward genau unterſucht, und bald wurden alle Anweſen- de uͤberzeugt, daß dieſe Unterſuchung den Moͤr- der des Ungluͤcklichen entdecken wuͤrde. Der Wundarzt fand in der Wunde, welche durch die linke Seite bis in den Magen drang, zwei kleine runde Schellen, die man den Schafen umzuhaͤngen pflegt, und durch welche die Wunde war verurſacht worden. Erwieſen war es nun, daß den Ungluͤcklichen kein Graͤnzwaͤchter getoͤdtet habe, weil dieſe mit gewoͤhnlichen Kugeln verſe- hen ſind, und ganz natuͤrlich war die Vermu- thung, daß der Knecht, welcher ihm entgegen gieng, der Thaͤter ſeyn muͤſſe. Dieſer ward ſogleich vorgerufen, er bebte zu- ruͤck, als man ihm den Beweiß vorlegte, und ge- ſtand kurz nachher, daß er wirklich der Moͤrder ſeines Herrn ſei. Lange ſchon: ſo erzaͤhlte er im gerichtlichen Verhoͤre, liebte ich die Frau meines Meiſters, ich kaͤmpfte oft mit dieſer Leidenſchaft, aber ich konnte ſie nicht uͤberwinden. Wenn ich hinter der Heerde gieng, und mich auf alle Art zu zerſtreuen ſuchte, ſo ſah ich immer ihr Bild vor mir, konnte es nicht wegbeten, nicht wegflu- chen. Erfahrung lehrte mich, daß ſie ihren Gat- ten zaͤrtlich liebe, und eben dieſe heftige Liebe er-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/spiess_biographien02_1796
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/spiess_biographien02_1796/180
Zitationshilfe: Spiess, Christian Heinrich: Biographien der Wahnsinnigen. Bd. 2. Leipzig, 1796, S. 172. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spiess_biographien02_1796/180>, abgerufen am 22.11.2024.