einem jungen Sohne entbunden wurde. Konrad und Marianne trugen ihn zur Taufe, welche am Ende mit einem kleinen Feste gefeiert wurde, das bis nach Mitternacht dauerte. Am andern Mor- gen kam Konrad, die Wöchnerin zu besuchen; wie er eintrat, versuchte diese es eben, den Neu- gebohrnen zu säugen; ihr Mann stand ihr zur Seite. Diese ähnliche Gruppe weckte in Konrads Gedächtniß die Erinnerung der ehemals so schreck- lichen Szene; er schauderte zurück, starrte wild umher, und mußte von seinem Freunde nach ei- nem andern Zimmer geführt werden. Noch am nemlichen Tage verwandelte sich sein Tiefsinn in eine unheilbare Raserei; er starb nach sechsjähri- gem Leiden, mit Ketten belastet, im Hospitale der Wahnsinnigen.
Die ihn innig liebende Marianne trauerte noch um ihn, als seine Karoline schon ihr Leiden geen- digt hatte. Letztere starb an einer unheilbaren Abzehrung, und gedachte in der Stunde ihres To- des noch des armen Konrads, den sie dort wieder zu sehen hoffte, weil sie ihn wirklich todt glaubte; seinen Eintritt in ihr Zimmer für eine warnende Erscheinung hielt, und man ihr absichtlich diesen Irrthum nicht raubte, weil Wahrheit sie wahr- scheinlich noch unglücklicher gemacht hätte.
Marie
einem jungen Sohne entbunden wurde. Konrad und Marianne trugen ihn zur Taufe, welche am Ende mit einem kleinen Feſte gefeiert wurde, das bis nach Mitternacht dauerte. Am andern Mor- gen kam Konrad, die Woͤchnerin zu beſuchen; wie er eintrat, verſuchte dieſe es eben, den Neu- gebohrnen zu ſaͤugen; ihr Mann ſtand ihr zur Seite. Dieſe aͤhnliche Gruppe weckte in Konrads Gedaͤchtniß die Erinnerung der ehemals ſo ſchreck- lichen Szene; er ſchauderte zuruͤck, ſtarrte wild umher, und mußte von ſeinem Freunde nach ei- nem andern Zimmer gefuͤhrt werden. Noch am nemlichen Tage verwandelte ſich ſein Tiefſinn in eine unheilbare Raſerei; er ſtarb nach ſechsjaͤhri- gem Leiden, mit Ketten belaſtet, im Hoſpitale der Wahnſinnigen.
Die ihn innig liebende Marianne trauerte noch um ihn, als ſeine Karoline ſchon ihr Leiden geen- digt hatte. Letztere ſtarb an einer unheilbaren Abzehrung, und gedachte in der Stunde ihres To- des noch des armen Konrads, den ſie dort wieder zu ſehen hoffte, weil ſie ihn wirklich todt glaubte; ſeinen Eintritt in ihr Zimmer fuͤr eine warnende Erſcheinung hielt, und man ihr abſichtlich dieſen Irrthum nicht raubte, weil Wahrheit ſie wahr- ſcheinlich noch ungluͤcklicher gemacht haͤtte.
Marie
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einem jungen Sohne entbunden wurde. Konrad
und Marianne trugen ihn zur Taufe, welche am
Ende mit einem kleinen Feſte gefeiert wurde, das
bis nach Mitternacht dauerte. Am andern Mor-
gen kam Konrad, die Woͤchnerin zu beſuchen;
wie er eintrat, verſuchte dieſe es eben, den Neu-
gebohrnen zu ſaͤugen; ihr Mann ſtand ihr zur
Seite. Dieſe aͤhnliche Gruppe weckte in Konrads
Gedaͤchtniß die Erinnerung der ehemals ſo ſchreck-
lichen Szene; er ſchauderte zuruͤck, ſtarrte wild
umher, und mußte von ſeinem Freunde nach ei-
nem andern Zimmer gefuͤhrt werden. Noch am
nemlichen Tage verwandelte ſich ſein Tiefſinn in
eine unheilbare Raſerei; er ſtarb nach ſechsjaͤhri-
gem Leiden, mit Ketten belaſtet, im Hoſpitale
der Wahnſinnigen.
Die ihn innig liebende Marianne trauerte noch
um ihn, als ſeine Karoline ſchon ihr Leiden geen-
digt hatte. Letztere ſtarb an einer unheilbaren
Abzehrung, und gedachte in der Stunde ihres To-
des noch des armen Konrads, den ſie dort wieder
zu ſehen hoffte, weil ſie ihn wirklich todt glaubte;
ſeinen Eintritt in ihr Zimmer fuͤr eine warnende
Erſcheinung hielt, und man ihr abſichtlich dieſen
Irrthum nicht raubte, weil Wahrheit ſie wahr-
ſcheinlich noch ungluͤcklicher gemacht haͤtte.
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Spiess, Christian Heinrich: Biographien der Wahnsinnigen. Bd. 2. Leipzig, 1796, S. 159. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spiess_biographien02_1796/167>, abgerufen am 16.07.2024.
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