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Spiess, Christian Heinrich: Biographien der Wahnsinnigen. Bd. 2. Leipzig, 1796.

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tiefe Melancholie zurück, wenn er in ein Zimmer
geführt wurde; in jedem derselben wählte er sich
ein Plätzchen, nach welchem er ohne Unterlaß
hinstarrte. Er verschlang oft mit einer Art von
Heishunger jede Speise, welche man ihm vor-
setzte, noch öfterer aß er aber gar nichts, und
verachtete alles, was man ihm reichte. Jeder,
der ihn kannte, sich seiner Verdienste und Tapfer-
keit erinnerte, bedauerte ihn herzlich, als er beim
Regimente anlangte. Unter allen seinen Freun-
den nahm aber der General den thätigsten Antheil
an seinem Unglücke, er forderte die geschicktesten
Aerzte zu seiner Rettung auf; wie ihn aber alle
für wahnsinnig erklärten, und keine ihrer Arze-
neien wirken wollte, so sandte er den Unglückli-
chen nach der Hauptstadt, wo zur Verpfle-
gung der Wahnsinnigen ein eignes Spital errich-
tet war.

Auch hier wurde er seinem Charakter gemäß,
folglich sehr anständig behandelt, er erhielt ein
eignes Zimmer, konnte, da er niemanden beleidig-
te, ungehindert im Saale und Garten umher ge-
hen. Der Arzt gab bald nachher Hofnung zu sei-
ner Genesung, weil er nicht mehr so anhaltend
nach einem Winkel starrte, oft seufzte, weinte,
und einige Mal in seiner Gegenwart den Namen
Karoline aussprach. Diese Hofnung vermehrte
sich in der Folge, denn Konrad fieng an Beschäf-
tigung zu suchen. Er pflanzte im folgenden Früh-
linge mit vielem Eifer im Garten Blumen, er

tiefe Melancholie zuruͤck, wenn er in ein Zimmer
gefuͤhrt wurde; in jedem derſelben waͤhlte er ſich
ein Plaͤtzchen, nach welchem er ohne Unterlaß
hinſtarrte. Er verſchlang oft mit einer Art von
Heishunger jede Speiſe, welche man ihm vor-
ſetzte, noch oͤfterer aß er aber gar nichts, und
verachtete alles, was man ihm reichte. Jeder,
der ihn kannte, ſich ſeiner Verdienſte und Tapfer-
keit erinnerte, bedauerte ihn herzlich, als er beim
Regimente anlangte. Unter allen ſeinen Freun-
den nahm aber der General den thaͤtigſten Antheil
an ſeinem Ungluͤcke, er forderte die geſchickteſten
Aerzte zu ſeiner Rettung auf; wie ihn aber alle
fuͤr wahnſinnig erklaͤrten, und keine ihrer Arze-
neien wirken wollte, ſo ſandte er den Ungluͤckli-
chen nach der Hauptſtadt, wo zur Verpfle-
gung der Wahnſinnigen ein eignes Spital errich-
tet war.

Auch hier wurde er ſeinem Charakter gemaͤß,
folglich ſehr anſtaͤndig behandelt, er erhielt ein
eignes Zimmer, konnte, da er niemanden beleidig-
te, ungehindert im Saale und Garten umher ge-
hen. Der Arzt gab bald nachher Hofnung zu ſei-
ner Geneſung, weil er nicht mehr ſo anhaltend
nach einem Winkel ſtarrte, oft ſeufzte, weinte,
und einige Mal in ſeiner Gegenwart den Namen
Karoline ausſprach. Dieſe Hofnung vermehrte
ſich in der Folge, denn Konrad fieng an Beſchaͤf-
tigung zu ſuchen. Er pflanzte im folgenden Fruͤh-
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[154/0162] tiefe Melancholie zuruͤck, wenn er in ein Zimmer gefuͤhrt wurde; in jedem derſelben waͤhlte er ſich ein Plaͤtzchen, nach welchem er ohne Unterlaß hinſtarrte. Er verſchlang oft mit einer Art von Heishunger jede Speiſe, welche man ihm vor- ſetzte, noch oͤfterer aß er aber gar nichts, und verachtete alles, was man ihm reichte. Jeder, der ihn kannte, ſich ſeiner Verdienſte und Tapfer- keit erinnerte, bedauerte ihn herzlich, als er beim Regimente anlangte. Unter allen ſeinen Freun- den nahm aber der General den thaͤtigſten Antheil an ſeinem Ungluͤcke, er forderte die geſchickteſten Aerzte zu ſeiner Rettung auf; wie ihn aber alle fuͤr wahnſinnig erklaͤrten, und keine ihrer Arze- neien wirken wollte, ſo ſandte er den Ungluͤckli- chen nach der Hauptſtadt, wo zur Verpfle- gung der Wahnſinnigen ein eignes Spital errich- tet war. Auch hier wurde er ſeinem Charakter gemaͤß, folglich ſehr anſtaͤndig behandelt, er erhielt ein eignes Zimmer, konnte, da er niemanden beleidig- te, ungehindert im Saale und Garten umher ge- hen. Der Arzt gab bald nachher Hofnung zu ſei- ner Geneſung, weil er nicht mehr ſo anhaltend nach einem Winkel ſtarrte, oft ſeufzte, weinte, und einige Mal in ſeiner Gegenwart den Namen Karoline ausſprach. Dieſe Hofnung vermehrte ſich in der Folge, denn Konrad fieng an Beſchaͤf- tigung zu ſuchen. Er pflanzte im folgenden Fruͤh- linge mit vielem Eifer im Garten Blumen, er

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Zitationshilfe: Spiess, Christian Heinrich: Biographien der Wahnsinnigen. Bd. 2. Leipzig, 1796, S. 154. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spiess_biographien02_1796/162>, abgerufen am 07.05.2024.