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Spiess, Christian Heinrich: Biographien der Wahnsinnigen. Bd. 2. Leipzig, 1796.

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mit meinen eigenthümlichen Wechseln zum Ban-
kier, ich war schwach genug, schändlich zu entflie-
hen, als ich mich dadurch verrathen sah. Wie ich
aber überlegte, daß der Unschuldige in ihren Hän-
den sei, und unverdientes Ungemach werde er-
dulden müssen, da beschloß ich standhaft, nach
Strasburg rückzukehren, und seine Unschuld bei
ihnen zu vertheidigen. Erst vor kurzem erfuhr ich
hier sein trauriges Loos, stärkt Gott meine Kräf-
te, so folge ich morgen mit dem frühsten, und
werde durch meine Gegenwart und Aussage des
Unglücklichen Unschuld beweisen. Geschehe dann
mit mir was da will, ich werde nicht murren,
aber dieß schwöre ich im voraus, daß ich mich
eher selbst morden, als die Gattin des verhaßten
M -- werden will. Können heiße Thränen, in-
niges Flehen eines einzigen Kindes ihr Vaterherz
erweichen, so hoffe ich ganz gewiß, daß ich meine
Rückkehr nie bereuen, noch oft die Vaterhand,
welche vergab und nicht strafte, mit Thränen der
Freude netzen werde.

Der Brief war von Philippsburg datirt, der
äußerst gerührte, aber auch höchst erfreute Vater
war bloß zur Rettung des Unschuldigen zum Ge-
richte geeilt, er bestieg dort den Wagen, der ihn
noch am nämlichen Tage in die Arme seiner Toch-
ter liefern sollte, deren Herz er mit dieser Nach-
richt erfreuen wollte. Die Richter erstaunten
über diese Nachricht, ohne welche sie die Mörder
eines Unschuldigen geworden wären; da Karoli-

mit meinen eigenthuͤmlichen Wechſeln zum Ban-
kier, ich war ſchwach genug, ſchaͤndlich zu entflie-
hen, als ich mich dadurch verrathen ſah. Wie ich
aber uͤberlegte, daß der Unſchuldige in ihren Haͤn-
den ſei, und unverdientes Ungemach werde er-
dulden muͤſſen, da beſchloß ich ſtandhaft, nach
Strasburg ruͤckzukehren, und ſeine Unſchuld bei
ihnen zu vertheidigen. Erſt vor kurzem erfuhr ich
hier ſein trauriges Loos, ſtaͤrkt Gott meine Kraͤf-
te, ſo folge ich morgen mit dem fruͤhſten, und
werde durch meine Gegenwart und Ausſage des
Ungluͤcklichen Unſchuld beweiſen. Geſchehe dann
mit mir was da will, ich werde nicht murren,
aber dieß ſchwoͤre ich im voraus, daß ich mich
eher ſelbſt morden, als die Gattin des verhaßten
M — werden will. Koͤnnen heiße Thraͤnen, in-
niges Flehen eines einzigen Kindes ihr Vaterherz
erweichen, ſo hoffe ich ganz gewiß, daß ich meine
Ruͤckkehr nie bereuen, noch oft die Vaterhand,
welche vergab und nicht ſtrafte, mit Thraͤnen der
Freude netzen werde.

Der Brief war von Philippsburg datirt, der
aͤußerſt geruͤhrte, aber auch hoͤchſt erfreute Vater
war bloß zur Rettung des Unſchuldigen zum Ge-
richte geeilt, er beſtieg dort den Wagen, der ihn
noch am naͤmlichen Tage in die Arme ſeiner Toch-
ter liefern ſollte, deren Herz er mit dieſer Nach-
richt erfreuen wollte. Die Richter erſtaunten
uͤber dieſe Nachricht, ohne welche ſie die Moͤrder
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[125/0133] mit meinen eigenthuͤmlichen Wechſeln zum Ban- kier, ich war ſchwach genug, ſchaͤndlich zu entflie- hen, als ich mich dadurch verrathen ſah. Wie ich aber uͤberlegte, daß der Unſchuldige in ihren Haͤn- den ſei, und unverdientes Ungemach werde er- dulden muͤſſen, da beſchloß ich ſtandhaft, nach Strasburg ruͤckzukehren, und ſeine Unſchuld bei ihnen zu vertheidigen. Erſt vor kurzem erfuhr ich hier ſein trauriges Loos, ſtaͤrkt Gott meine Kraͤf- te, ſo folge ich morgen mit dem fruͤhſten, und werde durch meine Gegenwart und Ausſage des Ungluͤcklichen Unſchuld beweiſen. Geſchehe dann mit mir was da will, ich werde nicht murren, aber dieß ſchwoͤre ich im voraus, daß ich mich eher ſelbſt morden, als die Gattin des verhaßten M — werden will. Koͤnnen heiße Thraͤnen, in- niges Flehen eines einzigen Kindes ihr Vaterherz erweichen, ſo hoffe ich ganz gewiß, daß ich meine Ruͤckkehr nie bereuen, noch oft die Vaterhand, welche vergab und nicht ſtrafte, mit Thraͤnen der Freude netzen werde. Der Brief war von Philippsburg datirt, der aͤußerſt geruͤhrte, aber auch hoͤchſt erfreute Vater war bloß zur Rettung des Unſchuldigen zum Ge- richte geeilt, er beſtieg dort den Wagen, der ihn noch am naͤmlichen Tage in die Arme ſeiner Toch- ter liefern ſollte, deren Herz er mit dieſer Nach- richt erfreuen wollte. Die Richter erſtaunten uͤber dieſe Nachricht, ohne welche ſie die Moͤrder eines Unſchuldigen geworden waͤren; da Karoli-

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Zitationshilfe: Spiess, Christian Heinrich: Biographien der Wahnsinnigen. Bd. 2. Leipzig, 1796, S. 125. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spiess_biographien02_1796/133>, abgerufen am 16.07.2024.