Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Spiess, Christian Heinrich: Biographien der Wahnsinnigen. Bd. 1. Leipzig, 1796.

Bild:
<< vorherige Seite

Tode, konnte nicht mehr hören, nicht mehr spre-
chen; seine beiden unnatürlichen Töchter hatte
ihn, nach Aussage der Mägde, stets mit den krän-
kendsten Vorwürfen gemartert, er hätte oft um
Schonung gefleht, aber sie war ihm nie worden.
Als sie am nemlichen Tage ihn beim Mittags-
mahle auf's neue damit kränkten, endete seine
Geduld, er sprach sehr hart mit ihnen, und gieng
in sein Zimmer. Die Magd, welche ihm den
Kaffe nachtrug, fand ihn sinnlos am Boden;
wahrscheinlich hatte ihn der Schlag getroffen.
Die Töchter waren nicht zugegen, wie die Bauern
ankamen, sie beschäftigten sich, die Schränke und
Kisten zu versperren, damit bei dem nahen Todes-
falle nichts von ihrem Erbtheile entwendet wer-
den könne. Der kranke Vater bemühte sich äu-
ßerst, mit den anwesenden zu sprechen, aber seine
Mühe war vergebens. Er hob seine Linke, denn
die Rechte hatte wirklich der Schlag gelähmt, in
die Höhe, und deutete mit flehender Miene nach
der Schule. Die Bauern verstanden seine Bitte,
und gelobten in kräftigen Worten und mit deut-
lichen Mienen, daß sie der Verlaßnen Vater seyn
wollten. Ehe noch der Arzt anlangte, hatte er
schon ausgerungen; als kurz vorher die unnatürli-
chen Töchter an sein Sterbebette traten, und kläg-
lich, aber nicht ernstlich, ihre Hände rangen,
wandte der Sterbende sein Angesicht von ihnen,
und starb, indem er sehnsuchtsvoll nach der Schu-
le blickte.


Dies

Tode, konnte nicht mehr hoͤren, nicht mehr ſpre-
chen; ſeine beiden unnatuͤrlichen Toͤchter hatte
ihn, nach Ausſage der Maͤgde, ſtets mit den kraͤn-
kendſten Vorwuͤrfen gemartert, er haͤtte oft um
Schonung gefleht, aber ſie war ihm nie worden.
Als ſie am nemlichen Tage ihn beim Mittags-
mahle auf's neue damit kraͤnkten, endete ſeine
Geduld, er ſprach ſehr hart mit ihnen, und gieng
in ſein Zimmer. Die Magd, welche ihm den
Kaffe nachtrug, fand ihn ſinnlos am Boden;
wahrſcheinlich hatte ihn der Schlag getroffen.
Die Toͤchter waren nicht zugegen, wie die Bauern
ankamen, ſie beſchaͤftigten ſich, die Schraͤnke und
Kiſten zu verſperren, damit bei dem nahen Todes-
falle nichts von ihrem Erbtheile entwendet wer-
den koͤnne. Der kranke Vater bemuͤhte ſich aͤu-
ßerſt, mit den anweſenden zu ſprechen, aber ſeine
Muͤhe war vergebens. Er hob ſeine Linke, denn
die Rechte hatte wirklich der Schlag gelaͤhmt, in
die Hoͤhe, und deutete mit flehender Miene nach
der Schule. Die Bauern verſtanden ſeine Bitte,
und gelobten in kraͤftigen Worten und mit deut-
lichen Mienen, daß ſie der Verlaßnen Vater ſeyn
wollten. Ehe noch der Arzt anlangte, hatte er
ſchon ausgerungen; als kurz vorher die unnatuͤrli-
chen Toͤchter an ſein Sterbebette traten, und klaͤg-
lich, aber nicht ernſtlich, ihre Haͤnde rangen,
wandte der Sterbende ſein Angeſicht von ihnen,
und ſtarb, indem er ſehnſuchtsvoll nach der Schu-
le blickte.


Dieſ
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0094" n="80"/>
Tode, konnte nicht mehr ho&#x0364;ren, nicht                     mehr &#x017F;pre-<lb/>
chen; &#x017F;eine beiden unnatu&#x0364;rlichen To&#x0364;chter hatte<lb/>
ihn, nach                     Aus&#x017F;age der Ma&#x0364;gde, &#x017F;tets mit den kra&#x0364;n-<lb/>
kend&#x017F;ten Vorwu&#x0364;rfen gemartert, er                     ha&#x0364;tte oft um<lb/>
Schonung gefleht, aber &#x017F;ie war ihm nie worden.<lb/>
Als &#x017F;ie am                     nemlichen Tage ihn beim Mittags-<lb/>
mahle auf's neue damit kra&#x0364;nkten, endete                     &#x017F;eine<lb/>
Geduld, er &#x017F;prach &#x017F;ehr hart mit ihnen, und gieng<lb/>
in &#x017F;ein Zimmer.                     Die Magd, welche ihm den<lb/>
Kaffe nachtrug, fand ihn &#x017F;innlos am                     Boden;<lb/>
wahr&#x017F;cheinlich hatte ihn der Schlag getroffen.<lb/>
Die To&#x0364;chter waren                     nicht zugegen, wie die Bauern<lb/>
ankamen, &#x017F;ie be&#x017F;cha&#x0364;ftigten &#x017F;ich, die                     Schra&#x0364;nke und<lb/>
Ki&#x017F;ten zu ver&#x017F;perren, damit bei dem nahen Todes-<lb/>
falle                     nichts von ihrem Erbtheile entwendet wer-<lb/>
den ko&#x0364;nne. Der kranke Vater                     bemu&#x0364;hte &#x017F;ich a&#x0364;u-<lb/>
ßer&#x017F;t, mit den anwe&#x017F;enden zu &#x017F;prechen, aber                     &#x017F;eine<lb/>
Mu&#x0364;he war vergebens. Er hob &#x017F;eine Linke, denn<lb/>
die Rechte hatte                     wirklich der Schlag gela&#x0364;hmt, in<lb/>
die Ho&#x0364;he, und deutete mit flehender Miene                     nach<lb/>
der Schule. Die Bauern ver&#x017F;tanden &#x017F;eine Bitte,<lb/>
und gelobten in                     kra&#x0364;ftigen Worten und mit deut-<lb/>
lichen Mienen, daß &#x017F;ie der Verlaßnen Vater                     &#x017F;eyn<lb/>
wollten. Ehe noch der Arzt anlangte, hatte er<lb/>
&#x017F;chon ausgerungen;                     als kurz vorher die unnatu&#x0364;rli-<lb/>
chen To&#x0364;chter an &#x017F;ein Sterbebette traten,                     und kla&#x0364;g-<lb/>
lich, aber nicht ern&#x017F;tlich, ihre Ha&#x0364;nde rangen,<lb/>
wandte der                     Sterbende &#x017F;ein Ange&#x017F;icht von ihnen,<lb/>
und &#x017F;tarb, indem er &#x017F;ehn&#x017F;uchtsvoll nach                     der Schu-<lb/>
le blickte.</p><lb/>
        <fw place="bottom" type="catch">Die&#x017F;</fw><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[80/0094] Tode, konnte nicht mehr hoͤren, nicht mehr ſpre- chen; ſeine beiden unnatuͤrlichen Toͤchter hatte ihn, nach Ausſage der Maͤgde, ſtets mit den kraͤn- kendſten Vorwuͤrfen gemartert, er haͤtte oft um Schonung gefleht, aber ſie war ihm nie worden. Als ſie am nemlichen Tage ihn beim Mittags- mahle auf's neue damit kraͤnkten, endete ſeine Geduld, er ſprach ſehr hart mit ihnen, und gieng in ſein Zimmer. Die Magd, welche ihm den Kaffe nachtrug, fand ihn ſinnlos am Boden; wahrſcheinlich hatte ihn der Schlag getroffen. Die Toͤchter waren nicht zugegen, wie die Bauern ankamen, ſie beſchaͤftigten ſich, die Schraͤnke und Kiſten zu verſperren, damit bei dem nahen Todes- falle nichts von ihrem Erbtheile entwendet wer- den koͤnne. Der kranke Vater bemuͤhte ſich aͤu- ßerſt, mit den anweſenden zu ſprechen, aber ſeine Muͤhe war vergebens. Er hob ſeine Linke, denn die Rechte hatte wirklich der Schlag gelaͤhmt, in die Hoͤhe, und deutete mit flehender Miene nach der Schule. Die Bauern verſtanden ſeine Bitte, und gelobten in kraͤftigen Worten und mit deut- lichen Mienen, daß ſie der Verlaßnen Vater ſeyn wollten. Ehe noch der Arzt anlangte, hatte er ſchon ausgerungen; als kurz vorher die unnatuͤrli- chen Toͤchter an ſein Sterbebette traten, und klaͤg- lich, aber nicht ernſtlich, ihre Haͤnde rangen, wandte der Sterbende ſein Angeſicht von ihnen, und ſtarb, indem er ſehnſuchtsvoll nach der Schu- le blickte. Dieſ

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/spiess_biographien01_1796
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/spiess_biographien01_1796/94
Zitationshilfe: Spiess, Christian Heinrich: Biographien der Wahnsinnigen. Bd. 1. Leipzig, 1796, S. 80. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spiess_biographien01_1796/94>, abgerufen am 20.04.2024.