Spiess, Christian Heinrich: Biographien der Wahnsinnigen. Bd. 1. Leipzig, 1796.ten Auge dieser Weiber auffallen. Lottchen wurde ten Auge dieſer Weiber auffallen. Lottchen wurde <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0083" n="69"/> ten Auge dieſer Weiber auffallen. Lottchen wurde<lb/> einſt, als man eine Kindbetterin begrub, auf dem<lb/> Kirchhofe ohnmaͤchtig, der Anblick ihres kuͤnftigen<lb/> Looſes mochte zu ſtark auf ihre Nerven gewirkt<lb/> haben. Einige Weiber fuͤhrten ſie abſeits, loͤßten<lb/> ihre Schnuͤrbruſt, und wurden dadurch von ihrem<lb/> ungluͤcklichen Zuſtande ganz uͤberzeugt. Bald ſpra-<lb/> chen auch die Juͤnglinge und Dirnen des Dorfs<lb/> davon, es kraͤnkte die Vaͤter und Muͤtter, daß in<lb/> ſo gefahrvoller, verfuͤhrungsreicher Zeit die Toch-<lb/> ter des Pfarrers ihren Kindern ein ſo uͤbles Bei-<lb/> ſpiel gab, und ſie gleichſam zur Nachahmung reiz-<lb/> te. Einige wenige Mißvergnuͤgte, welche der al-<lb/> te Pfarrer in aͤhnlichen Faͤllen, oft nur Vermu-<lb/> thungen, mit zu harten Worten ermahnt hatte,<lb/> nuͤtzten die guͤnſtige Gelegenheit zur Rache, und<lb/> ermunterten die Gemeinde zur foͤrmlichen Klage.<lb/> Einige Deputirte derſelben giengen wirklich in die<lb/> Stadt zum Superintendenten, klagten ihren Pfar-<lb/> rer der Verwahrloſung ſeines Kindes an, und for-<lb/> derten, zur Steuer des allgemeinen Aergerniſſes,<lb/> zur Warnung ihrer eigenen Kinder, hinlaͤngliche<lb/> Genugthuung. Der rechtſchaffne Superintendent,<lb/> welcher ganz natuͤrlich glaubte, daß dem Vater<lb/> nicht unbekannt ſeyn koͤnne, was eine ganze Ge-<lb/> meinde wiſſe, ſchrieb ſogleich dem alten Pfarrer<lb/> und bat ihn mit ſchonenden Worten, ſeine Ge-<lb/> meinde in der Stille zu beruhigen, ſie durch ein-<lb/> heimiſche Genugthuung zu verſoͤhnen, weil er<lb/> ſonſt bei wiederholter Klage an's Oberkonſiſtorium<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [69/0083]
ten Auge dieſer Weiber auffallen. Lottchen wurde
einſt, als man eine Kindbetterin begrub, auf dem
Kirchhofe ohnmaͤchtig, der Anblick ihres kuͤnftigen
Looſes mochte zu ſtark auf ihre Nerven gewirkt
haben. Einige Weiber fuͤhrten ſie abſeits, loͤßten
ihre Schnuͤrbruſt, und wurden dadurch von ihrem
ungluͤcklichen Zuſtande ganz uͤberzeugt. Bald ſpra-
chen auch die Juͤnglinge und Dirnen des Dorfs
davon, es kraͤnkte die Vaͤter und Muͤtter, daß in
ſo gefahrvoller, verfuͤhrungsreicher Zeit die Toch-
ter des Pfarrers ihren Kindern ein ſo uͤbles Bei-
ſpiel gab, und ſie gleichſam zur Nachahmung reiz-
te. Einige wenige Mißvergnuͤgte, welche der al-
te Pfarrer in aͤhnlichen Faͤllen, oft nur Vermu-
thungen, mit zu harten Worten ermahnt hatte,
nuͤtzten die guͤnſtige Gelegenheit zur Rache, und
ermunterten die Gemeinde zur foͤrmlichen Klage.
Einige Deputirte derſelben giengen wirklich in die
Stadt zum Superintendenten, klagten ihren Pfar-
rer der Verwahrloſung ſeines Kindes an, und for-
derten, zur Steuer des allgemeinen Aergerniſſes,
zur Warnung ihrer eigenen Kinder, hinlaͤngliche
Genugthuung. Der rechtſchaffne Superintendent,
welcher ganz natuͤrlich glaubte, daß dem Vater
nicht unbekannt ſeyn koͤnne, was eine ganze Ge-
meinde wiſſe, ſchrieb ſogleich dem alten Pfarrer
und bat ihn mit ſchonenden Worten, ſeine Ge-
meinde in der Stille zu beruhigen, ſie durch ein-
heimiſche Genugthuung zu verſoͤhnen, weil er
ſonſt bei wiederholter Klage an's Oberkonſiſtorium
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