Spiess, Christian Heinrich: Biographien der Wahnsinnigen. Bd. 1. Leipzig, 1796.unschuldigen Mädchens. Wilhelm hofte mit dem Daß die Liebenden ihre Hofnung nicht auf unſchuldigen Maͤdchens. Wilhelm hofte mit dem Daß die Liebenden ihre Hofnung nicht auf <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0076" n="62"/> unſchuldigen Maͤdchens. Wilhelm hofte mit dem<lb/> Frieden auch ſeine Entlaſſung zu erhalten, der<lb/> Schulmeiſter des Orts war aͤußerſt alt, er brauch-<lb/> te hoͤchſt noͤthig einen Subſtituten, Wilhelm woll-<lb/> te dieſer werden. Er hatte Gruͤnde zu dieſer Hof-<lb/> nung, denn die ganze Gemeinde, welche dieſen<lb/> Dienſt zu vergeben hatte, liebte ihn, und verſi-<lb/> cherte ihm ſolchen oft im voraus, wenn er Sonn-<lb/> tags anſtatt des kranken Schulmeiſters recht an-<lb/> genehm auf der Orgel praͤludirte, und mit melo-<lb/> diſcher Stimme das Lied begann. Er wollte dann<lb/> ſogleich ſein Lottchen heirathen, und konnte dies<lb/> ebenfalls mit Grunde hoffen, weil der alte, lieb-<lb/> reiche Vater oft im Scherze zu ihm ſagte: wenn<lb/> Sie beim nahen Frieden hier Subſtitut meines<lb/> alten Schulmeiſters werden wollen, ſo gebe ich<lb/> Ihnen mein Lottchen zur Frau. So lange der<lb/> Alte lebt, habt ihr die Koſt bei mir, und ſtirbt<lb/> er einſt, ſo iſt ſein Dienſt im Stande, euch wohl<lb/> zu ernaͤhren, denn er ſteht ſich beſſer als mancher<lb/> Pfarrer im Gebirge!</p><lb/> <p>Daß die Liebenden ihre Hofnung nicht auf<lb/> Scheingruͤnde bauten, habe ich deutlich erwieſen,<lb/> daß dieſe angenehme Ausſicht ſich bei der guͤnſti-<lb/> gen Wendung noch Jahrelang verzoͤgern koͤnne,<lb/> liegt freilich eben ſo klar am Tage aber wer<lb/> kann im Sturme, im Drange der heftigſten Lei-<lb/> denſchaft immer kalt uͤberlegen? Wer kann in<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [62/0076]
unſchuldigen Maͤdchens. Wilhelm hofte mit dem
Frieden auch ſeine Entlaſſung zu erhalten, der
Schulmeiſter des Orts war aͤußerſt alt, er brauch-
te hoͤchſt noͤthig einen Subſtituten, Wilhelm woll-
te dieſer werden. Er hatte Gruͤnde zu dieſer Hof-
nung, denn die ganze Gemeinde, welche dieſen
Dienſt zu vergeben hatte, liebte ihn, und verſi-
cherte ihm ſolchen oft im voraus, wenn er Sonn-
tags anſtatt des kranken Schulmeiſters recht an-
genehm auf der Orgel praͤludirte, und mit melo-
diſcher Stimme das Lied begann. Er wollte dann
ſogleich ſein Lottchen heirathen, und konnte dies
ebenfalls mit Grunde hoffen, weil der alte, lieb-
reiche Vater oft im Scherze zu ihm ſagte: wenn
Sie beim nahen Frieden hier Subſtitut meines
alten Schulmeiſters werden wollen, ſo gebe ich
Ihnen mein Lottchen zur Frau. So lange der
Alte lebt, habt ihr die Koſt bei mir, und ſtirbt
er einſt, ſo iſt ſein Dienſt im Stande, euch wohl
zu ernaͤhren, denn er ſteht ſich beſſer als mancher
Pfarrer im Gebirge!
Daß die Liebenden ihre Hofnung nicht auf
Scheingruͤnde bauten, habe ich deutlich erwieſen,
daß dieſe angenehme Ausſicht ſich bei der guͤnſti-
gen Wendung noch Jahrelang verzoͤgern koͤnne,
liegt freilich eben ſo klar am Tage aber wer
kann im Sturme, im Drange der heftigſten Lei-
denſchaft immer kalt uͤberlegen? Wer kann in
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