Spiess, Christian Heinrich: Biographien der Wahnsinnigen. Bd. 1. Leipzig, 1796.gen Früchte ungestört genießen. Kalte gefühllose Lottchen und Wilhelm liebten sich äußerst zärt- gen Fruͤchte ungeſtoͤrt genießen. Kalte gefuͤhlloſe Lottchen und Wilhelm liebten ſich aͤußerſt zaͤrt- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0075" n="61"/> gen Fruͤchte ungeſtoͤrt genießen. Kalte gefuͤhlloſe<lb/> Seelen, deren feuchtes Pflegma jede Leidenſchafts-<lb/> flamme ſogleich loͤſcht, kann's wundern, daß dieſe<lb/> geheimen Zuſammenkuͤnfte bald ſtrafbar wurden;<lb/> mich wundert's, daß die Liebenden einen langen<lb/> Monat kaͤmpften, und nicht fruͤher unterlagen.<lb/> Umſtaͤnde und Gelegenheit verleiten oft den redli-<lb/> chen Mann zu Verbrechen, die des Hochgerichts<lb/> wuͤrdig ſind. Zeit und Gelegenheit rauben dem<lb/> liebenden Maͤdchen allemal ihren groͤßten Schatz,<lb/> die nur einmal bluͤhende Unſchuld, mit welcher ih-<lb/> re ſtolze Nachbarinn ſich deswegen nur noch bruͤ-<lb/> ſten kann, weil ihr nicht gleiche Gelegenheit wur-<lb/> de. Vater! Mutter! Dein iſt die Pflicht, die<lb/> fuͤhlende Tochter vor dieſer zu warnen, vor dieſer<lb/> zu ſchuͤtzen; haſt du dieſe vernachlaͤßigt, ſo iſt<lb/> dein die Schuld ihres Falles, ſo kann die Ungluͤck-<lb/> liche von dir mit vollem Rechte, Mitleid, Troſt<lb/> und Huͤlfe fordern, denn ihr Ungluͤck war dein<lb/> Werk, ihre Thraͤnen klagen dich bei Gott an, und<lb/> traͤufeln in deine Suͤndenſchaale.</p><lb/> <p>Lottchen und Wilhelm liebten ſich aͤußerſt zaͤrt-<lb/> lich, aber ſie bangten auch oft vor der fuͤrchterli-<lb/> chen Zukunft, vor der wahrſcheinlichen ſchreckli-<lb/> chen Trennung. Die Friedensgeruͤchte, welche<lb/> ſich dieſen Winter hindurch immer mehr und mehr<lb/> verbreiteten, durch alle Zeitungen beſtaͤtigt wur-<lb/> den, belebten ihr Herz mit Hofnung, beſchleunig-<lb/> ten aber auch eben ſo wahrſcheinlich den Fall des<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [61/0075]
gen Fruͤchte ungeſtoͤrt genießen. Kalte gefuͤhlloſe
Seelen, deren feuchtes Pflegma jede Leidenſchafts-
flamme ſogleich loͤſcht, kann's wundern, daß dieſe
geheimen Zuſammenkuͤnfte bald ſtrafbar wurden;
mich wundert's, daß die Liebenden einen langen
Monat kaͤmpften, und nicht fruͤher unterlagen.
Umſtaͤnde und Gelegenheit verleiten oft den redli-
chen Mann zu Verbrechen, die des Hochgerichts
wuͤrdig ſind. Zeit und Gelegenheit rauben dem
liebenden Maͤdchen allemal ihren groͤßten Schatz,
die nur einmal bluͤhende Unſchuld, mit welcher ih-
re ſtolze Nachbarinn ſich deswegen nur noch bruͤ-
ſten kann, weil ihr nicht gleiche Gelegenheit wur-
de. Vater! Mutter! Dein iſt die Pflicht, die
fuͤhlende Tochter vor dieſer zu warnen, vor dieſer
zu ſchuͤtzen; haſt du dieſe vernachlaͤßigt, ſo iſt
dein die Schuld ihres Falles, ſo kann die Ungluͤck-
liche von dir mit vollem Rechte, Mitleid, Troſt
und Huͤlfe fordern, denn ihr Ungluͤck war dein
Werk, ihre Thraͤnen klagen dich bei Gott an, und
traͤufeln in deine Suͤndenſchaale.
Lottchen und Wilhelm liebten ſich aͤußerſt zaͤrt-
lich, aber ſie bangten auch oft vor der fuͤrchterli-
chen Zukunft, vor der wahrſcheinlichen ſchreckli-
chen Trennung. Die Friedensgeruͤchte, welche
ſich dieſen Winter hindurch immer mehr und mehr
verbreiteten, durch alle Zeitungen beſtaͤtigt wur-
den, belebten ihr Herz mit Hofnung, beſchleunig-
ten aber auch eben ſo wahrſcheinlich den Fall des
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