viele Wohlthaten erweißt, ihn täglich speißt und vollkommen ernährt.
Ich wandte mich nun mit einer Bitte an die- sen, er war so gefällig, ihre Gewährung zuzusi- chern, mehrere Gäste nahmen Antheil an unserm Gespräche, und äußerten gleiches Verlangen, den merkwürdigen Mann zu sehen, und näher kennen zu lernen. Es ward nun verabredet, ihn durch geschickte Fragen auf den Gegenstand zu leiten, vorzüglich aber nicht Unglauben zu verrathen, oder über seine Aeusserung zu lachen, weil beides ihn sogleich zurückscheuen, und jeden neuen Versuch unmöglich machen würde. Der Herr des Schlos- ses gieng selbst, ihn zu holen, weil er schwerlich einem seiner Bedienten gefolgt wäre. Er trat kurz darauf mit ihm in's Zimmer; tiefe Stille herrschte in der zahlreichen Versammlung, jeder bewunderte seine ehrwürdige Physiognomie, jeder winkte meiner Bemerkung darüber vollen Beifall zu. Der graue Mann stutzte sehr, als er so viele Fremde im Zimmer erblickte, ich zitterte schon vor den üblen Folgen, und bereuete meine Geschwä- tzigkeit, wodurch ich die Neugierde aller erregt hatte. Zu meiner großen Freude sah ich aber bald, daß diese Verlegenheit schwinde, seine furchtsame Miene ward wieder nachdenkend, er knöpfte seine Weste auf, steckte die rechte Hand darein, und lehnte sich mit dem Rücken gegen die Mauer. Jetzt, meine Herrn, sprach nun der
viele Wohlthaten erweißt, ihn taͤglich ſpeißt und vollkommen ernaͤhrt.
Ich wandte mich nun mit einer Bitte an die- ſen, er war ſo gefaͤllig, ihre Gewaͤhrung zuzuſi- chern, mehrere Gaͤſte nahmen Antheil an unſerm Geſpraͤche, und aͤußerten gleiches Verlangen, den merkwuͤrdigen Mann zu ſehen, und naͤher kennen zu lernen. Es ward nun verabredet, ihn durch geſchickte Fragen auf den Gegenſtand zu leiten, vorzuͤglich aber nicht Unglauben zu verrathen, oder uͤber ſeine Aeuſſerung zu lachen, weil beides ihn ſogleich zuruͤckſcheuen, und jeden neuen Verſuch unmoͤglich machen wuͤrde. Der Herr des Schloſ- ſes gieng ſelbſt, ihn zu holen, weil er ſchwerlich einem ſeiner Bedienten gefolgt waͤre. Er trat kurz darauf mit ihm in's Zimmer; tiefe Stille herrſchte in der zahlreichen Verſammlung, jeder bewunderte ſeine ehrwuͤrdige Phyſiognomie, jeder winkte meiner Bemerkung daruͤber vollen Beifall zu. Der graue Mann ſtutzte ſehr, als er ſo viele Fremde im Zimmer erblickte, ich zitterte ſchon vor den uͤblen Folgen, und bereuete meine Geſchwaͤ- tzigkeit, wodurch ich die Neugierde aller erregt hatte. Zu meiner großen Freude ſah ich aber bald, daß dieſe Verlegenheit ſchwinde, ſeine furchtſame Miene ward wieder nachdenkend, er knoͤpfte ſeine Weſte auf, ſteckte die rechte Hand darein, und lehnte ſich mit dem Ruͤcken gegen die Mauer. Jetzt, meine Herrn, ſprach nun der
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viele Wohlthaten erweißt, ihn taͤglich ſpeißt und
vollkommen ernaͤhrt.
Ich wandte mich nun mit einer Bitte an die-
ſen, er war ſo gefaͤllig, ihre Gewaͤhrung zuzuſi-
chern, mehrere Gaͤſte nahmen Antheil an unſerm
Geſpraͤche, und aͤußerten gleiches Verlangen, den
merkwuͤrdigen Mann zu ſehen, und naͤher kennen
zu lernen. Es ward nun verabredet, ihn durch
geſchickte Fragen auf den Gegenſtand zu leiten,
vorzuͤglich aber nicht Unglauben zu verrathen, oder
uͤber ſeine Aeuſſerung zu lachen, weil beides ihn
ſogleich zuruͤckſcheuen, und jeden neuen Verſuch
unmoͤglich machen wuͤrde. Der Herr des Schloſ-
ſes gieng ſelbſt, ihn zu holen, weil er ſchwerlich
einem ſeiner Bedienten gefolgt waͤre. Er trat
kurz darauf mit ihm in's Zimmer; tiefe Stille
herrſchte in der zahlreichen Verſammlung, jeder
bewunderte ſeine ehrwuͤrdige Phyſiognomie, jeder
winkte meiner Bemerkung daruͤber vollen Beifall
zu. Der graue Mann ſtutzte ſehr, als er ſo viele
Fremde im Zimmer erblickte, ich zitterte ſchon vor
den uͤblen Folgen, und bereuete meine Geſchwaͤ-
tzigkeit, wodurch ich die Neugierde aller erregt
hatte. Zu meiner großen Freude ſah ich aber
bald, daß dieſe Verlegenheit ſchwinde, ſeine
furchtſame Miene ward wieder nachdenkend, er
knoͤpfte ſeine Weſte auf, ſteckte die rechte Hand
darein, und lehnte ſich mit dem Ruͤcken gegen die
Mauer. Jetzt, meine Herrn, ſprach nun der
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Spiess, Christian Heinrich: Biographien der Wahnsinnigen. Bd. 1. Leipzig, 1796, S. 40. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spiess_biographien01_1796/54>, abgerufen am 16.02.2025.
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