Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Spiess, Christian Heinrich: Biographien der Wahnsinnigen. Bd. 1. Leipzig, 1796.

Bild:
<< vorherige Seite

Beschreibung ihrer Person sogar in Zeitungen kund
gemacht, aber nie erfolgte eine Nachfrage. Nur
vor ungefähr einem Monate kam ein fremder Herr
hier an, brachte ein Zeitungsblatt, welches ihre
Beschreibung enthielt, mit sich, und fragte sehr be-
gierig nach ihr. Ich führte ihn selbst in ihre Hüt-
te, er betrachtete sie genau, schien sehr gerührt
zu seyn, und sprach endlich mit ihr in einer Spra-
che, welche ich nicht verstand, sie antwortete sehr
fertig in eben dieser Sprache, endlich gieng der
fremde Herr ohne nähere Erklärung fort.

Ich. Aber ich begreife nicht, wie sie in ihrem
Wahnsinne eine so wahrscheinliche, zusammenhän-
gende Geschichte ersinnen konnte? Ist sie wirk-
lich eine Ausländerin, so wundert's mich noch
mehr, weil sie doch Kenntniß der Familien und
Städte des Landes besitzt.

Pfarrer. Das ist freilich ein Räthsel, wel-
ches ich Ihnen nicht lösen kann, aber gewiß ist
es, daß sie nicht Baronin B** heisen, nicht ei-
nen Grafen L** aus Ungarn zum Manne haben
konnte, denn unser Abt hat darüber die genausten
Nachrichten eingezogen, und ist überzeugt worden,
daß ihre ganze Geschichte, selbst das mit der Mo-
narchin, ein Werk ihrer verirrten Einbildungskraft
sei.

Ich. Zu welcher Religion bekennt sie sich denn?

Pfarrer. Zu der katholischen, wenn man
gewissen äußerlichen Kennzeichen trauen darf, doch
geht sie nie zur Beichte, nie in die Kirche, sie
bleibt entweder am Eingange derselben stehen,
oder betet auf den Gräbern des Kirchhofs andäch-
tig und lange. Da ich sie einigemal selbst mit zur
Kirche nehmen wollte, so versicherte sie mich mit
vielem Ernste, daß sie auf ausdrücklichen Befehl
des Pabstes keine betreten dürfe, und von ihm
mit dem Kirchenbanne sei belegt worden.

Gerne hätte ich mehr mit dem Pfarrer gespro-
chen, aber der Schulmeister meldete ihm, daß ein
Kranker seine schleunige Hülfe fordere, und er eilte

Beſchreibung ihrer Perſon ſogar in Zeitungen kund
gemacht, aber nie erfolgte eine Nachfrage. Nur
vor ungefaͤhr einem Monate kam ein fremder Herr
hier an, brachte ein Zeitungsblatt, welches ihre
Beſchreibung enthielt, mit ſich, und fragte ſehr be-
gierig nach ihr. Ich fuͤhrte ihn ſelbſt in ihre Huͤt-
te, er betrachtete ſie genau, ſchien ſehr geruͤhrt
zu ſeyn, und ſprach endlich mit ihr in einer Spra-
che, welche ich nicht verſtand, ſie antwortete ſehr
fertig in eben dieſer Sprache, endlich gieng der
fremde Herr ohne naͤhere Erklaͤrung fort.

Ich. Aber ich begreife nicht, wie ſie in ihrem
Wahnſinne eine ſo wahrſcheinliche, zuſammenhaͤn-
gende Geſchichte erſinnen konnte? Iſt ſie wirk-
lich eine Auslaͤnderin, ſo wundert's mich noch
mehr, weil ſie doch Kenntniß der Familien und
Staͤdte des Landes beſitzt.

Pfarrer. Das iſt freilich ein Raͤthſel, wel-
ches ich Ihnen nicht loͤſen kann, aber gewiß iſt
es, daß ſie nicht Baronin B** heiſen, nicht ei-
nen Grafen L** aus Ungarn zum Manne haben
konnte, denn unſer Abt hat daruͤber die genauſten
Nachrichten eingezogen, und iſt uͤberzeugt worden,
daß ihre ganze Geſchichte, ſelbſt das mit der Mo-
narchin, ein Werk ihrer verirrten Einbildungskraft
ſei.

Ich. Zu welcher Religion bekennt ſie ſich denn?

Pfarrer. Zu der katholiſchen, wenn man
gewiſſen aͤußerlichen Kennzeichen trauen darf, doch
geht ſie nie zur Beichte, nie in die Kirche, ſie
bleibt entweder am Eingange derſelben ſtehen,
oder betet auf den Graͤbern des Kirchhofs andaͤch-
tig und lange. Da ich ſie einigemal ſelbſt mit zur
Kirche nehmen wollte, ſo verſicherte ſie mich mit
vielem Ernſte, daß ſie auf ausdruͤcklichen Befehl
des Pabſtes keine betreten duͤrfe, und von ihm
mit dem Kirchenbanne ſei belegt worden.

Gerne haͤtte ich mehr mit dem Pfarrer geſpro-
chen, aber der Schulmeiſter meldete ihm, daß ein
Kranker ſeine ſchleunige Huͤlfe fordere, und er eilte

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0221" n="207"/>
Be&#x017F;chreibung ihrer Per&#x017F;on &#x017F;ogar in Zeitungen                     kund<lb/>
gemacht, aber nie erfolgte eine Nachfrage. Nur<lb/>
vor ungefa&#x0364;hr einem                     Monate kam ein fremder Herr<lb/>
hier an, brachte ein Zeitungsblatt, welches                     ihre<lb/>
Be&#x017F;chreibung enthielt, mit &#x017F;ich, und fragte &#x017F;ehr be-<lb/>
gierig nach                     ihr. Ich fu&#x0364;hrte ihn &#x017F;elb&#x017F;t in ihre Hu&#x0364;t-<lb/>
te, er betrachtete &#x017F;ie genau,                     &#x017F;chien &#x017F;ehr geru&#x0364;hrt<lb/>
zu &#x017F;eyn, und &#x017F;prach endlich mit ihr in einer                     Spra-<lb/>
che, welche ich nicht ver&#x017F;tand, &#x017F;ie antwortete &#x017F;ehr<lb/>
fertig in eben                     die&#x017F;er Sprache, endlich gieng der<lb/>
fremde Herr ohne na&#x0364;here Erkla&#x0364;rung                     fort.</p><lb/>
        <p><hi rendition="#g">Ich</hi>. Aber ich begreife nicht, wie &#x017F;ie in                     ihrem<lb/>
Wahn&#x017F;inne eine &#x017F;o wahr&#x017F;cheinliche, zu&#x017F;ammenha&#x0364;n-<lb/>
gende Ge&#x017F;chichte                     er&#x017F;innen konnte? I&#x017F;t &#x017F;ie wirk-<lb/>
lich eine Ausla&#x0364;nderin, &#x017F;o wundert's mich                     noch<lb/>
mehr, weil &#x017F;ie doch Kenntniß der Familien und<lb/>
Sta&#x0364;dte des Landes                     be&#x017F;itzt.</p><lb/>
        <p><hi rendition="#g">Pfarrer</hi>. Das i&#x017F;t freilich ein Ra&#x0364;th&#x017F;el, wel-<lb/>
ches ich                     Ihnen nicht lo&#x0364;&#x017F;en kann, aber gewiß i&#x017F;t<lb/>
es, daß &#x017F;ie nicht Baronin B**                     hei&#x017F;en, nicht ei-<lb/>
nen Grafen L** aus Ungarn zum Manne haben<lb/>
konnte, denn                     un&#x017F;er Abt hat daru&#x0364;ber die genau&#x017F;ten<lb/>
Nachrichten eingezogen, und i&#x017F;t                     u&#x0364;berzeugt worden,<lb/>
daß ihre ganze Ge&#x017F;chichte, &#x017F;elb&#x017F;t das mit der                     Mo-<lb/>
narchin, ein Werk ihrer verirrten Einbildungskraft<lb/>
&#x017F;ei.</p><lb/>
        <p><hi rendition="#g">Ich</hi>. Zu welcher Religion bekennt &#x017F;ie &#x017F;ich denn?</p><lb/>
        <p><hi rendition="#g">Pfarrer</hi>. Zu der katholi&#x017F;chen, wenn man<lb/>
gewi&#x017F;&#x017F;en                     a&#x0364;ußerlichen Kennzeichen trauen darf, doch<lb/>
geht &#x017F;ie nie zur Beichte, nie in                     die Kirche, &#x017F;ie<lb/>
bleibt entweder am Eingange der&#x017F;elben &#x017F;tehen,<lb/>
oder betet                     auf den Gra&#x0364;bern des Kirchhofs anda&#x0364;ch-<lb/>
tig und lange. Da ich &#x017F;ie einigemal                     &#x017F;elb&#x017F;t mit zur<lb/>
Kirche nehmen wollte, &#x017F;o ver&#x017F;icherte &#x017F;ie mich mit<lb/>
vielem                     Ern&#x017F;te, daß &#x017F;ie auf ausdru&#x0364;cklichen Befehl<lb/>
des Pab&#x017F;tes keine betreten                     du&#x0364;rfe, und von ihm<lb/>
mit dem Kirchenbanne &#x017F;ei belegt worden.</p><lb/>
        <p>Gerne ha&#x0364;tte ich mehr mit dem Pfarrer ge&#x017F;pro-<lb/>
chen, aber der Schulmei&#x017F;ter                     meldete ihm, daß ein<lb/>
Kranker &#x017F;eine &#x017F;chleunige Hu&#x0364;lfe fordere, und er                         eilte<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[207/0221] Beſchreibung ihrer Perſon ſogar in Zeitungen kund gemacht, aber nie erfolgte eine Nachfrage. Nur vor ungefaͤhr einem Monate kam ein fremder Herr hier an, brachte ein Zeitungsblatt, welches ihre Beſchreibung enthielt, mit ſich, und fragte ſehr be- gierig nach ihr. Ich fuͤhrte ihn ſelbſt in ihre Huͤt- te, er betrachtete ſie genau, ſchien ſehr geruͤhrt zu ſeyn, und ſprach endlich mit ihr in einer Spra- che, welche ich nicht verſtand, ſie antwortete ſehr fertig in eben dieſer Sprache, endlich gieng der fremde Herr ohne naͤhere Erklaͤrung fort. Ich. Aber ich begreife nicht, wie ſie in ihrem Wahnſinne eine ſo wahrſcheinliche, zuſammenhaͤn- gende Geſchichte erſinnen konnte? Iſt ſie wirk- lich eine Auslaͤnderin, ſo wundert's mich noch mehr, weil ſie doch Kenntniß der Familien und Staͤdte des Landes beſitzt. Pfarrer. Das iſt freilich ein Raͤthſel, wel- ches ich Ihnen nicht loͤſen kann, aber gewiß iſt es, daß ſie nicht Baronin B** heiſen, nicht ei- nen Grafen L** aus Ungarn zum Manne haben konnte, denn unſer Abt hat daruͤber die genauſten Nachrichten eingezogen, und iſt uͤberzeugt worden, daß ihre ganze Geſchichte, ſelbſt das mit der Mo- narchin, ein Werk ihrer verirrten Einbildungskraft ſei. Ich. Zu welcher Religion bekennt ſie ſich denn? Pfarrer. Zu der katholiſchen, wenn man gewiſſen aͤußerlichen Kennzeichen trauen darf, doch geht ſie nie zur Beichte, nie in die Kirche, ſie bleibt entweder am Eingange derſelben ſtehen, oder betet auf den Graͤbern des Kirchhofs andaͤch- tig und lange. Da ich ſie einigemal ſelbſt mit zur Kirche nehmen wollte, ſo verſicherte ſie mich mit vielem Ernſte, daß ſie auf ausdruͤcklichen Befehl des Pabſtes keine betreten duͤrfe, und von ihm mit dem Kirchenbanne ſei belegt worden. Gerne haͤtte ich mehr mit dem Pfarrer geſpro- chen, aber der Schulmeiſter meldete ihm, daß ein Kranker ſeine ſchleunige Huͤlfe fordere, und er eilte

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/spiess_biographien01_1796
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/spiess_biographien01_1796/221
Zitationshilfe: Spiess, Christian Heinrich: Biographien der Wahnsinnigen. Bd. 1. Leipzig, 1796, S. 207. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spiess_biographien01_1796/221>, abgerufen am 20.04.2024.