glückliche hatte überdies ihr Gesicht gegen die Wand gekehrt, die Blenden der Haube deckten es. Die Mutter merkte meine Verlegenheit, und dreh- te den Kopf der Schlafenden sanft herum. -- -- In meinem ganzen Leben bin ich in meiner Er- wartung nie so arg, nie so überraschend betrogen worden, ich blickte, ich sah fest, ich traute meinen Augen nicht, ich wischte die Thränen weg, ich sah von neuem und sah immer nur einen bemahlten Haubenstock vor mir liegen, der mich mit seinen starren, schwarz gemahlten Augen fürchterlich an- grinßte. Mein Erstaunen, meine Verwunderung, meine Verwirrung blieb der Mutter nicht unbe- merkt, es mehrte ihr sanftes Lächeln, mit welchem sie mich unverwandt anblickte. Nicht wahr, sprach sie endlich, ich habe eine schöne Tochter? Unterdrücken Sie ihr Erstaunen nicht, mehrere Fremde haben Sie schon gesehen, und sind mit der Versicherung geschieden, daß sie nie ein schö- neres Mädchen sahen! O wäre sie nicht wahn- sinnig, ihre Schönheit, ihr schmachtender, einneh- mender Blick hätte schon längst das Herz eines Fürsten gerührt, sie wäre seine Gattin, und könn- te ihre alte Mutter reichlich ernähren! Aber nun ist jede Aussicht verlohren! Schlaf Karoline, schlaf! (sie drehte den Kopf wieder ge- gen die Wand, und zog die Vorhänge zu) der Schlaf ist ihr einziges Glück, denn schla- fend fühlt sie ihr Unglück nicht. -- -- Jetzt wer- den Sie vergeben, ich muß in die Küche gehen, und eine Suppe kochen.
gluͤckliche hatte uͤberdies ihr Geſicht gegen die Wand gekehrt, die Blenden der Haube deckten es. Die Mutter merkte meine Verlegenheit, und dreh- te den Kopf der Schlafenden ſanft herum. — — In meinem ganzen Leben bin ich in meiner Er- wartung nie ſo arg, nie ſo uͤberraſchend betrogen worden, ich blickte, ich ſah feſt, ich traute meinen Augen nicht, ich wiſchte die Thraͤnen weg, ich ſah von neuem und ſah immer nur einen bemahlten Haubenſtock vor mir liegen, der mich mit ſeinen ſtarren, ſchwarz gemahlten Augen fuͤrchterlich an- grinßte. Mein Erſtaunen, meine Verwunderung, meine Verwirrung blieb der Mutter nicht unbe- merkt, es mehrte ihr ſanftes Laͤcheln, mit welchem ſie mich unverwandt anblickte. Nicht wahr, ſprach ſie endlich, ich habe eine ſchoͤne Tochter? Unterdruͤcken Sie ihr Erſtaunen nicht, mehrere Fremde haben Sie ſchon geſehen, und ſind mit der Verſicherung geſchieden, daß ſie nie ein ſchoͤ- neres Maͤdchen ſahen! O waͤre ſie nicht wahn- ſinnig, ihre Schoͤnheit, ihr ſchmachtender, einneh- mender Blick haͤtte ſchon laͤngſt das Herz eines Fuͤrſten geruͤhrt, ſie waͤre ſeine Gattin, und koͤnn- te ihre alte Mutter reichlich ernaͤhren! Aber nun iſt jede Ausſicht verlohren! Schlaf Karoline, ſchlaf! (ſie drehte den Kopf wieder ge- gen die Wand, und zog die Vorhaͤnge zu) der Schlaf iſt ihr einziges Gluͤck, denn ſchla- fend fuͤhlt ſie ihr Ungluͤck nicht. — — Jetzt wer- den Sie vergeben, ich muß in die Kuͤche gehen, und eine Suppe kochen.
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gluͤckliche hatte uͤberdies ihr Geſicht gegen die
Wand gekehrt, die Blenden der Haube deckten es.
Die Mutter merkte meine Verlegenheit, und dreh-
te den Kopf der Schlafenden ſanft herum. — —
In meinem ganzen Leben bin ich in meiner Er-
wartung nie ſo arg, nie ſo uͤberraſchend betrogen
worden, ich blickte, ich ſah feſt, ich traute meinen
Augen nicht, ich wiſchte die Thraͤnen weg, ich ſah
von neuem und ſah immer nur einen bemahlten
Haubenſtock vor mir liegen, der mich mit ſeinen
ſtarren, ſchwarz gemahlten Augen fuͤrchterlich an-
grinßte. Mein Erſtaunen, meine Verwunderung,
meine Verwirrung blieb der Mutter nicht unbe-
merkt, es mehrte ihr ſanftes Laͤcheln, mit welchem
ſie mich unverwandt anblickte. Nicht wahr,
ſprach ſie endlich, ich habe eine ſchoͤne Tochter?
Unterdruͤcken Sie ihr Erſtaunen nicht, mehrere
Fremde haben Sie ſchon geſehen, und ſind mit
der Verſicherung geſchieden, daß ſie nie ein ſchoͤ-
neres Maͤdchen ſahen! O waͤre ſie nicht wahn-
ſinnig, ihre Schoͤnheit, ihr ſchmachtender, einneh-
mender Blick haͤtte ſchon laͤngſt das Herz eines
Fuͤrſten geruͤhrt, ſie waͤre ſeine Gattin, und koͤnn-
te ihre alte Mutter reichlich ernaͤhren! Aber nun
iſt jede Ausſicht verlohren! Schlaf Karoline,
ſchlaf! (ſie drehte den Kopf wieder ge-
gen die Wand, und zog die Vorhaͤnge
zu) der Schlaf iſt ihr einziges Gluͤck, denn ſchla-
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den Sie vergeben, ich muß in die Kuͤche gehen,
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Spiess, Christian Heinrich: Biographien der Wahnsinnigen. Bd. 1. Leipzig, 1796, S. 202. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spiess_biographien01_1796/216>, abgerufen am 16.02.2025.
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