daß er meiner, bis ich großjährig wäre, harren, und dann mein Herz und Vermögen zum Lohne erhalten solle. Ob er mir dagegen auch etwas an- ders als sein Herz versichern könne? wurde von mir nie gefragt, denn ächte, reine Liebe achtet keines Reichthums, und dünkt sich auch in einer Strohhütte glücklich.
Als er endlich scheiden mußte, da vermochte ich mich kaum zu fassen; meine hartherzige Mut- ter machte mir darüber die bittersten Vorwürfe, und bewillkommte mich oft mit Ohrfeigen, wenn ich mit rothgeweinten Augen vor ihr erschien; aber ich duldete um seinetwillen, und freute mich, daß ich dadurch seiner Liebe ein Opfer bringen konnte. Noch war er nicht acht Tage von mir entfernt, als schon der junge und sehr reiche Graf S*** auf unserm Schlosse anlangte, und mich sogleich im festen Tone versicherte, daß er aus Liebe zu mir in so schlechtem Wege die Hauptstadt verlas- sen. Ich ahndete, daß er nicht ungerufen erschie- nen sei, und gab's ihm im ersten Gespräche zu verstehen, daß er wieder ohne Hoffnung scheiden müsse. Er schien's nicht zu achten, er beschäftig- te sich einige Tage hindurch blos mit kleinen Spa- zierfahrten, die er in Gesellschaft meiner Mutter im Gebiete meiner Herrschaft unternahm. Einige Tage nachher ließ mir meine Mutter sagen, daß heute viele Gäste ankommen würden, und ich da- her meinen Anzug darnach einrichten sollte. Ehe
daß er meiner, bis ich großjaͤhrig waͤre, harren, und dann mein Herz und Vermoͤgen zum Lohne erhalten ſolle. Ob er mir dagegen auch etwas an- ders als ſein Herz verſichern koͤnne? wurde von mir nie gefragt, denn aͤchte, reine Liebe achtet keines Reichthums, und duͤnkt ſich auch in einer Strohhuͤtte gluͤcklich.
Als er endlich ſcheiden mußte, da vermochte ich mich kaum zu faſſen; meine hartherzige Mut- ter machte mir daruͤber die bitterſten Vorwuͤrfe, und bewillkommte mich oft mit Ohrfeigen, wenn ich mit rothgeweinten Augen vor ihr erſchien; aber ich duldete um ſeinetwillen, und freute mich, daß ich dadurch ſeiner Liebe ein Opfer bringen konnte. Noch war er nicht acht Tage von mir entfernt, als ſchon der junge und ſehr reiche Graf S*** auf unſerm Schloſſe anlangte, und mich ſogleich im feſten Tone verſicherte, daß er aus Liebe zu mir in ſo ſchlechtem Wege die Hauptſtadt verlaſ- ſen. Ich ahndete, daß er nicht ungerufen erſchie- nen ſei, und gab's ihm im erſten Geſpraͤche zu verſtehen, daß er wieder ohne Hoffnung ſcheiden muͤſſe. Er ſchien's nicht zu achten, er beſchaͤftig- te ſich einige Tage hindurch blos mit kleinen Spa- zierfahrten, die er in Geſellſchaft meiner Mutter im Gebiete meiner Herrſchaft unternahm. Einige Tage nachher ließ mir meine Mutter ſagen, daß heute viele Gaͤſte ankommen wuͤrden, und ich da- her meinen Anzug darnach einrichten ſollte. Ehe
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daß er meiner, bis ich großjaͤhrig waͤre, harren,
und dann mein Herz und Vermoͤgen zum Lohne
erhalten ſolle. Ob er mir dagegen auch etwas an-
ders als ſein Herz verſichern koͤnne? wurde von
mir nie gefragt, denn aͤchte, reine Liebe achtet
keines Reichthums, und duͤnkt ſich auch in einer
Strohhuͤtte gluͤcklich.
Als er endlich ſcheiden mußte, da vermochte
ich mich kaum zu faſſen; meine hartherzige Mut-
ter machte mir daruͤber die bitterſten Vorwuͤrfe,
und bewillkommte mich oft mit Ohrfeigen, wenn
ich mit rothgeweinten Augen vor ihr erſchien; aber
ich duldete um ſeinetwillen, und freute mich, daß
ich dadurch ſeiner Liebe ein Opfer bringen konnte.
Noch war er nicht acht Tage von mir entfernt,
als ſchon der junge und ſehr reiche Graf S***
auf unſerm Schloſſe anlangte, und mich ſogleich
im feſten Tone verſicherte, daß er aus Liebe zu
mir in ſo ſchlechtem Wege die Hauptſtadt verlaſ-
ſen. Ich ahndete, daß er nicht ungerufen erſchie-
nen ſei, und gab's ihm im erſten Geſpraͤche zu
verſtehen, daß er wieder ohne Hoffnung ſcheiden
muͤſſe. Er ſchien's nicht zu achten, er beſchaͤftig-
te ſich einige Tage hindurch blos mit kleinen Spa-
zierfahrten, die er in Geſellſchaft meiner Mutter
im Gebiete meiner Herrſchaft unternahm. Einige
Tage nachher ließ mir meine Mutter ſagen, daß
heute viele Gaͤſte ankommen wuͤrden, und ich da-
her meinen Anzug darnach einrichten ſollte. Ehe
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Spiess, Christian Heinrich: Biographien der Wahnsinnigen. Bd. 1. Leipzig, 1796, S. 167. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spiess_biographien01_1796/181>, abgerufen am 16.02.2025.
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