Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Spiess, Christian Heinrich: Biographien der Wahnsinnigen. Bd. 1. Leipzig, 1796.

Bild:
<< vorherige Seite

rung, das Geschrei verstummte, man sah nur
Thränen, hörte nur Schluchzen. Friedrich benutz-
te die Stille, er sank auf seine Knie, die Kinder
folgten. Allmächtiger, rief er betend aus, ich
danke dir! du hast mich erhört, du hast mich ge-
rettet, ich danke dir in Gegenwart der Tausen-
den, welche nun dir thätiger dienen, eifriger an
dich glauben werden, weil du das Flehen der Un-
schuld hörtest, und nicht zulassen wolltest, daß
sie an deiner Barmherzigkeit zweifle. -- -- Er
sprach noch mehr, aber das Gemurmel der Menge
machte seine Stimme unhörbar, er mußte es dul-
den, das man ihn mit seinen Kindern durch die
meisten Gassen herum trug, und seine Unschuld
mit lauter Stimme ausrief. Kinder und Weiber
streuten von Fenstern herab Blumen, die mit
Thränen des Mitleids benetzt waren. Wie das
Volk mit ihm am Hause des Kaufmanns vorüber
zog, wollte es aus übertriebnem Eifer die Fenster
desselben einwerfen, aber Friedrich bat, und ihre
Hände sanken zurück. Endlich trug man ihn nach
seiner Wohnung, sie war öde und leer, die Ge-
richte hatten all sein Hausgeräthe in Verwahrung
genommen; aber in einer Viertelstunde war sie
mit weit schönerm Geräthe angefüllt, welches die
angesehnsten Bürger der Stadt auf ihren Rücken
zum Geschenke herbei trugen. Am Abende füllten
die Träger, welche Speisen brachten, die Gasse,
in welcher Friedrich wohnte, er konnte nur dan-
ken, aber nicht annehmen.


rung, das Geſchrei verſtummte, man ſah nur
Thraͤnen, hoͤrte nur Schluchzen. Friedrich benutz-
te die Stille, er ſank auf ſeine Knie, die Kinder
folgten. Allmaͤchtiger, rief er betend aus, ich
danke dir! du haſt mich erhoͤrt, du haſt mich ge-
rettet, ich danke dir in Gegenwart der Tauſen-
den, welche nun dir thaͤtiger dienen, eifriger an
dich glauben werden, weil du das Flehen der Un-
ſchuld hoͤrteſt, und nicht zulaſſen wollteſt, daß
ſie an deiner Barmherzigkeit zweifle. — — Er
ſprach noch mehr, aber das Gemurmel der Menge
machte ſeine Stimme unhoͤrbar, er mußte es dul-
den, das man ihn mit ſeinen Kindern durch die
meiſten Gaſſen herum trug, und ſeine Unſchuld
mit lauter Stimme ausrief. Kinder und Weiber
ſtreuten von Fenſtern herab Blumen, die mit
Thraͤnen des Mitleids benetzt waren. Wie das
Volk mit ihm am Hauſe des Kaufmanns voruͤber
zog, wollte es aus uͤbertriebnem Eifer die Fenſter
deſſelben einwerfen, aber Friedrich bat, und ihre
Haͤnde ſanken zuruͤck. Endlich trug man ihn nach
ſeiner Wohnung, ſie war oͤde und leer, die Ge-
richte hatten all ſein Hausgeraͤthe in Verwahrung
genommen; aber in einer Viertelſtunde war ſie
mit weit ſchoͤnerm Geraͤthe angefuͤllt, welches die
angeſehnſten Buͤrger der Stadt auf ihren Ruͤcken
zum Geſchenke herbei trugen. Am Abende fuͤllten
die Traͤger, welche Speiſen brachten, die Gaſſe,
in welcher Friedrich wohnte, er konnte nur dan-
ken, aber nicht annehmen.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0162" n="148"/>
rung, das                     Ge&#x017F;chrei ver&#x017F;tummte, man &#x017F;ah nur<lb/>
Thra&#x0364;nen, ho&#x0364;rte nur Schluchzen. Friedrich                     benutz-<lb/>
te die Stille, er &#x017F;ank auf &#x017F;eine Knie, die Kinder<lb/>
folgten.                     Allma&#x0364;chtiger, rief er betend aus, ich<lb/>
danke dir! du ha&#x017F;t mich erho&#x0364;rt, du                     ha&#x017F;t mich ge-<lb/>
rettet, ich danke dir in Gegenwart der Tau&#x017F;en-<lb/>
den, welche                     nun dir tha&#x0364;tiger dienen, eifriger an<lb/>
dich glauben werden, weil du das                     Flehen der Un-<lb/>
&#x017F;chuld ho&#x0364;rte&#x017F;t, und nicht zula&#x017F;&#x017F;en wollte&#x017F;t, daß<lb/>
&#x017F;ie an                     deiner Barmherzigkeit zweifle. &#x2014; &#x2014; Er<lb/>
&#x017F;prach noch mehr, aber das Gemurmel                     der Menge<lb/>
machte &#x017F;eine Stimme unho&#x0364;rbar, er mußte es dul-<lb/>
den, das man                     ihn mit &#x017F;einen Kindern durch die<lb/>
mei&#x017F;ten Ga&#x017F;&#x017F;en herum trug, und &#x017F;eine                     Un&#x017F;chuld<lb/>
mit lauter Stimme ausrief. Kinder und Weiber<lb/>
&#x017F;treuten von                     Fen&#x017F;tern herab Blumen, die mit<lb/>
Thra&#x0364;nen des Mitleids benetzt waren. Wie                     das<lb/>
Volk mit ihm am Hau&#x017F;e des Kaufmanns voru&#x0364;ber<lb/>
zog, wollte es aus                     u&#x0364;bertriebnem Eifer die Fen&#x017F;ter<lb/>
de&#x017F;&#x017F;elben einwerfen, aber Friedrich bat, und                     ihre<lb/>
Ha&#x0364;nde &#x017F;anken zuru&#x0364;ck. Endlich trug man ihn nach<lb/>
&#x017F;einer Wohnung,                     &#x017F;ie war o&#x0364;de und leer, die Ge-<lb/>
richte hatten all &#x017F;ein Hausgera&#x0364;the in                     Verwahrung<lb/>
genommen; aber in einer Viertel&#x017F;tunde war &#x017F;ie<lb/>
mit weit                     &#x017F;cho&#x0364;nerm Gera&#x0364;the angefu&#x0364;llt, welches die<lb/>
ange&#x017F;ehn&#x017F;ten Bu&#x0364;rger der Stadt                     auf ihren Ru&#x0364;cken<lb/>
zum Ge&#x017F;chenke herbei trugen. Am Abende fu&#x0364;llten<lb/>
die                     Tra&#x0364;ger, welche Spei&#x017F;en brachten, die Ga&#x017F;&#x017F;e,<lb/>
in welcher Friedrich wohnte, er                     konnte nur dan-<lb/>
ken, aber nicht annehmen.</p><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[148/0162] rung, das Geſchrei verſtummte, man ſah nur Thraͤnen, hoͤrte nur Schluchzen. Friedrich benutz- te die Stille, er ſank auf ſeine Knie, die Kinder folgten. Allmaͤchtiger, rief er betend aus, ich danke dir! du haſt mich erhoͤrt, du haſt mich ge- rettet, ich danke dir in Gegenwart der Tauſen- den, welche nun dir thaͤtiger dienen, eifriger an dich glauben werden, weil du das Flehen der Un- ſchuld hoͤrteſt, und nicht zulaſſen wollteſt, daß ſie an deiner Barmherzigkeit zweifle. — — Er ſprach noch mehr, aber das Gemurmel der Menge machte ſeine Stimme unhoͤrbar, er mußte es dul- den, das man ihn mit ſeinen Kindern durch die meiſten Gaſſen herum trug, und ſeine Unſchuld mit lauter Stimme ausrief. Kinder und Weiber ſtreuten von Fenſtern herab Blumen, die mit Thraͤnen des Mitleids benetzt waren. Wie das Volk mit ihm am Hauſe des Kaufmanns voruͤber zog, wollte es aus uͤbertriebnem Eifer die Fenſter deſſelben einwerfen, aber Friedrich bat, und ihre Haͤnde ſanken zuruͤck. Endlich trug man ihn nach ſeiner Wohnung, ſie war oͤde und leer, die Ge- richte hatten all ſein Hausgeraͤthe in Verwahrung genommen; aber in einer Viertelſtunde war ſie mit weit ſchoͤnerm Geraͤthe angefuͤllt, welches die angeſehnſten Buͤrger der Stadt auf ihren Ruͤcken zum Geſchenke herbei trugen. Am Abende fuͤllten die Traͤger, welche Speiſen brachten, die Gaſſe, in welcher Friedrich wohnte, er konnte nur dan- ken, aber nicht annehmen.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/spiess_biographien01_1796
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/spiess_biographien01_1796/162
Zitationshilfe: Spiess, Christian Heinrich: Biographien der Wahnsinnigen. Bd. 1. Leipzig, 1796, S. 148. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spiess_biographien01_1796/162>, abgerufen am 25.11.2024.