Spiess, Christian Heinrich: Biographien der Wahnsinnigen. Bd. 1. Leipzig, 1796.Falle betrog er sich nie, und das ganze Dorf Ein Jahr vor seinem Tode schien sich's mit Ein hitziges Fieber ergriff ihn im letzten Früh- Falle betrog er ſich nie, und das ganze Dorf Ein Jahr vor ſeinem Tode ſchien ſich's mit Ein hitziges Fieber ergriff ihn im letzten Fruͤh- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0134" n="120"/> Falle betrog er ſich nie, und das ganze Dorf<lb/> richtete ſich in der Sommerarbeit nach ihm.<lb/> Wenn er am Abende die Knechte befragte: was<lb/> ſie den Tag uͤber verrichtet hatten, ſo ſah er ih-<lb/> nen ſtarr in's Geſicht, und wußte es dann ge-<lb/> nau, wenn einer unter ihnen Unwahrheit ſprach.<lb/> Durch dieſe Kenntniß erhielt er ſein Geſinde in<lb/> Zucht und Ordnung, ſie arbeiteten alle fleißig<lb/> und unverdroſſen, weil ſie uͤberzeugt waren, daß<lb/> ihr Herr dieſen Fleiß am Abende in ihrem Ge-<lb/> ſichte erkennen und beloben wuͤrde.</p><lb/> <p>Ein Jahr vor ſeinem Tode ſchien ſich's mit<lb/> ſeinem Wahnſinne merklich zu beſſern, er ſprach<lb/> wenig mehr davon, und fragte nur ſelten die<lb/> Knechte: ob ſie noch in ſeinem Herzen leſen koͤnn-<lb/> ten? Wenn ſie's nun verneinten, ſo laͤchelte er<lb/> freundlich, und rief froh aus: das gebe Gott!<lb/> Er verſuchte es ſogar einigemal, bis an die Trep-<lb/> pe zu gehen, welche in den Hof hinab fuͤhrte,<lb/> aber wenn er die erſte Stufe betrat, ſo ergriff<lb/> ihn ein heftiger Schauer, der ihn zur Ruͤckkehr<lb/> zwang, und einige Tage auf's Krankenlager warf.<lb/> Es war ein Kampf der Vernunft mit dem Wahn-<lb/> ſinne, in welchem der letztere aber immer Sieger<lb/> blieb.</p><lb/> <p>Ein hitziges Fieber ergriff ihn im letzten Fruͤh-<lb/> jahre, und raubte ihm alle Vernunft. Er raßte<lb/> eilf Tage lang ſchrecklich, am zwoͤlften ſchien er<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [120/0134]
Falle betrog er ſich nie, und das ganze Dorf
richtete ſich in der Sommerarbeit nach ihm.
Wenn er am Abende die Knechte befragte: was
ſie den Tag uͤber verrichtet hatten, ſo ſah er ih-
nen ſtarr in's Geſicht, und wußte es dann ge-
nau, wenn einer unter ihnen Unwahrheit ſprach.
Durch dieſe Kenntniß erhielt er ſein Geſinde in
Zucht und Ordnung, ſie arbeiteten alle fleißig
und unverdroſſen, weil ſie uͤberzeugt waren, daß
ihr Herr dieſen Fleiß am Abende in ihrem Ge-
ſichte erkennen und beloben wuͤrde.
Ein Jahr vor ſeinem Tode ſchien ſich's mit
ſeinem Wahnſinne merklich zu beſſern, er ſprach
wenig mehr davon, und fragte nur ſelten die
Knechte: ob ſie noch in ſeinem Herzen leſen koͤnn-
ten? Wenn ſie's nun verneinten, ſo laͤchelte er
freundlich, und rief froh aus: das gebe Gott!
Er verſuchte es ſogar einigemal, bis an die Trep-
pe zu gehen, welche in den Hof hinab fuͤhrte,
aber wenn er die erſte Stufe betrat, ſo ergriff
ihn ein heftiger Schauer, der ihn zur Ruͤckkehr
zwang, und einige Tage auf's Krankenlager warf.
Es war ein Kampf der Vernunft mit dem Wahn-
ſinne, in welchem der letztere aber immer Sieger
blieb.
Ein hitziges Fieber ergriff ihn im letzten Fruͤh-
jahre, und raubte ihm alle Vernunft. Er raßte
eilf Tage lang ſchrecklich, am zwoͤlften ſchien er
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