Spiess, Christian Heinrich: Biographien der Wahnsinnigen. Bd. 1. Leipzig, 1796.verlieren! Jeder Mensch hat Leidenschaft, jede Am andern Morgen erschien der Wundarzt mit verlieren! Jeder Menſch hat Leidenſchaft, jede Am andern Morgen erſchien der Wundarzt mit <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0130" n="116"/> verlieren! Jeder Menſch hat Leidenſchaft, jede<lb/> Leidenſchaft tobt zuweilen, wie leicht ſtockt das<lb/> dann immer laufende Rad unſrer Einbildungskraft,<lb/> welches gleich einer Laterna magika die Bilder der<lb/> Vergangenheit und Zukunft vor unſerer Seele vor-<lb/> uͤber dreht, und dann ſteht es da das Bild, wel-<lb/> ches ſie eben darſtellte, weicht nicht mehr, be-<lb/> ſchaͤftigt ſtets den Geiſt und verleitet ihn zum<lb/> Wahnſinne.</p><lb/> <p>Am andern Morgen erſchien der Wundarzt mit<lb/> dem verſprochnen Pflaſter richtig bei dem armen<lb/> Jakob, er harrte voll Vertrauen darauf, und<lb/> freute ſich innig, als jener ihn nun verſicherte,<lb/> daß man nicht mehr in ſein Herz gucken, auch<lb/> nicht den kleinſten Gedanken ſeiner Seele leſen<lb/> koͤnne. Die unterrichteten Verwandten beſtaͤtigten<lb/> des Wundarztes Ausſage, Jakob glaubte ſie feſt,<lb/> und jeder hoffte jetzt mit Grunde, daß der Kranke<lb/> vollkommen geneſen werde. Wahrſcheinlich wuͤrde<lb/> dieſe Hofnung den gluͤcklichſten Erfolg gehabt ha-<lb/> ben, wenn nicht ein Zufall ſie auf immer ver-<lb/> nichtet haͤtte. Jakob trug ſein Pflaſter ſchon volle<lb/> zwei Wochen, und glaubte dem Arzte vollkommen,<lb/> wenn dieſer ihm beim Verbande verſicherte, daß<lb/> das Glas ſich ſchon zu verlieren, und neues Fleiſch<lb/> zu wachſen beginne. Eben hatte ihn dieſer kurz<lb/> vorher mit dieſer Verſicherung abermals getroͤſtet,<lb/> als Jakobs Bruder aus dem Walde heim kam,<lb/> und ihn traurig in einem Winkel ſitzend fand.<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [116/0130]
verlieren! Jeder Menſch hat Leidenſchaft, jede
Leidenſchaft tobt zuweilen, wie leicht ſtockt das
dann immer laufende Rad unſrer Einbildungskraft,
welches gleich einer Laterna magika die Bilder der
Vergangenheit und Zukunft vor unſerer Seele vor-
uͤber dreht, und dann ſteht es da das Bild, wel-
ches ſie eben darſtellte, weicht nicht mehr, be-
ſchaͤftigt ſtets den Geiſt und verleitet ihn zum
Wahnſinne.
Am andern Morgen erſchien der Wundarzt mit
dem verſprochnen Pflaſter richtig bei dem armen
Jakob, er harrte voll Vertrauen darauf, und
freute ſich innig, als jener ihn nun verſicherte,
daß man nicht mehr in ſein Herz gucken, auch
nicht den kleinſten Gedanken ſeiner Seele leſen
koͤnne. Die unterrichteten Verwandten beſtaͤtigten
des Wundarztes Ausſage, Jakob glaubte ſie feſt,
und jeder hoffte jetzt mit Grunde, daß der Kranke
vollkommen geneſen werde. Wahrſcheinlich wuͤrde
dieſe Hofnung den gluͤcklichſten Erfolg gehabt ha-
ben, wenn nicht ein Zufall ſie auf immer ver-
nichtet haͤtte. Jakob trug ſein Pflaſter ſchon volle
zwei Wochen, und glaubte dem Arzte vollkommen,
wenn dieſer ihm beim Verbande verſicherte, daß
das Glas ſich ſchon zu verlieren, und neues Fleiſch
zu wachſen beginne. Eben hatte ihn dieſer kurz
vorher mit dieſer Verſicherung abermals getroͤſtet,
als Jakobs Bruder aus dem Walde heim kam,
und ihn traurig in einem Winkel ſitzend fand.
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