Spiess, Christian Heinrich: Biographien der Wahnsinnigen. Bd. 1. Leipzig, 1796.hören mußte, schon ein wenig betrunken, aber hoͤren mußte, ſchon ein wenig betrunken, aber <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0120" n="106"/> hoͤren mußte, ſchon ein wenig betrunken, aber<lb/> doch bei voͤlligem Verſtande, ihn ſchmerzten nicht<lb/> die harten Worte ſeiner Anverwandten, denn er<lb/> hatte ſie vermuthet, ihn wunderte es aber um ſo<lb/> mehr, wie es moͤglich ſei, daß alle ſeine Abſicht<lb/> und Liebe wiſſen konnten, da er ſie doch erſt ge-<lb/> ſtern einem einzigen Freunde vertraut hatte, der<lb/> nicht gegenwaͤrtig war, und nach ſeiner Ueberzeu-<lb/> gung noch mit keinem ſeiner Anverwandten hatte<lb/> ſprechen koͤnnen. Er aͤußerte ſeine Verwunderung<lb/> daruͤber gegen viele anweſende junge Burſche,<lb/> und behauptete, als er im Zorne noch mehr trank,<lb/> daß hier der Teufel ſelbſt die Hand im Spiele ha-<lb/> ben muͤſſe. Wie er ziemlich berauſcht war, und<lb/> eine lange Zeit einſam und tiefdenkend in einem<lb/> Winkel geſchmollt hatte, gieng er ohne Abſchied<lb/> fort. Am andern Tage ſuchte ihn einer ſeiner<lb/> Knechte im Hochzeithauſe, wie er ihn dort nicht<lb/> fand, ſo ward Sorge und Nachfrage um ihn lau-<lb/> ter und aͤngſtlicher, man durchſuchte das ganze<lb/> Thal, und konnte ihn nirgends finden. Alle<lb/> glaubten nun einſtimmig, daß er in der Trun-<lb/> kenheit den Weg verfehlt, und, da eben ſtrenge<lb/> Kaͤlte herrſchte, ſehr tiefer Schnee lag, in irgend<lb/> einer verſchneiten Kluft ſein Leben beendet habe.<lb/> Marie und ſein ganzes Geſinde weinte laut um<lb/> ihn, ſeine Freunde beklagten, und jeder, der ihn<lb/> gekannt hatte, bedauerte ihn. Am ſiebenten Ta-<lb/> ge nach ſeinem Verſchwinden hatte ſchon einer ſei-<lb/> ner aͤltern Bruͤder die Wirthſchaft uͤbernommen,<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [106/0120]
hoͤren mußte, ſchon ein wenig betrunken, aber
doch bei voͤlligem Verſtande, ihn ſchmerzten nicht
die harten Worte ſeiner Anverwandten, denn er
hatte ſie vermuthet, ihn wunderte es aber um ſo
mehr, wie es moͤglich ſei, daß alle ſeine Abſicht
und Liebe wiſſen konnten, da er ſie doch erſt ge-
ſtern einem einzigen Freunde vertraut hatte, der
nicht gegenwaͤrtig war, und nach ſeiner Ueberzeu-
gung noch mit keinem ſeiner Anverwandten hatte
ſprechen koͤnnen. Er aͤußerte ſeine Verwunderung
daruͤber gegen viele anweſende junge Burſche,
und behauptete, als er im Zorne noch mehr trank,
daß hier der Teufel ſelbſt die Hand im Spiele ha-
ben muͤſſe. Wie er ziemlich berauſcht war, und
eine lange Zeit einſam und tiefdenkend in einem
Winkel geſchmollt hatte, gieng er ohne Abſchied
fort. Am andern Tage ſuchte ihn einer ſeiner
Knechte im Hochzeithauſe, wie er ihn dort nicht
fand, ſo ward Sorge und Nachfrage um ihn lau-
ter und aͤngſtlicher, man durchſuchte das ganze
Thal, und konnte ihn nirgends finden. Alle
glaubten nun einſtimmig, daß er in der Trun-
kenheit den Weg verfehlt, und, da eben ſtrenge
Kaͤlte herrſchte, ſehr tiefer Schnee lag, in irgend
einer verſchneiten Kluft ſein Leben beendet habe.
Marie und ſein ganzes Geſinde weinte laut um
ihn, ſeine Freunde beklagten, und jeder, der ihn
gekannt hatte, bedauerte ihn. Am ſiebenten Ta-
ge nach ſeinem Verſchwinden hatte ſchon einer ſei-
ner aͤltern Bruͤder die Wirthſchaft uͤbernommen,
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