Spiess, Christian Heinrich: Biographien der Wahnsinnigen. Bd. 1. Leipzig, 1796.ihn stets, und sprach liebreich mit ihm. Wenn Wilhelm versank binnen Jahresfrist in eine Erst. Bändch. G
ihn ſtets, und ſprach liebreich mit ihm. Wenn Wilhelm verſank binnen Jahresfriſt in eine Erſt. Baͤndch. G
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0111" n="97"/> ihn ſtets, und ſprach liebreich mit ihm. Wenn<lb/> ſich dann, was gewoͤhnlich nach einer kleinen Vier-<lb/> telſtunde geſchah, ihr Himmel wieder ſchloß, ſo<lb/> eilte er in's Freie, irrte in Feldern herum, kam<lb/> ſelten zum Mittagsmale nach Hauſe, ſtand aber<lb/> richtig am Abende am Ufer des Baches, welcher<lb/> das Dorf durchfloß. Lottchen gieng dann immer<lb/> am gegenſeitigen Ufer ſpazieren, und ſprach ohne<lb/> Furcht mit ihm, weil ſie waͤhnte, daß der Bach<lb/> die Graͤnze zwiſchen Himmel und Erde ſei. Einſt<lb/> wagte es Wilhelm, und ſprang hinuͤber, als er,<lb/> von innerm Gefuͤhle hingeriſſen, ſeiner Leidenſchaft<lb/> nicht mehr gebieten konnte. Lottchen ſank ohn-<lb/> maͤchtig zu Boden, und erwachte mit einer fuͤrch-<lb/> terlichen Raſerei, die ſich aber ſchon am dritten<lb/> Tage, und, was Wilhelmen noch am gluͤcklich-<lb/> ſten duͤnkte, mit gaͤnzlicher Vergeſſenheit ſeiner<lb/> Kuͤhnheit endigte. Sie ſah, und ſprach ihn, wie<lb/> ehe und zuvor, und gedachte derſelben nie.</p><lb/> <p>Wilhelm verſank binnen Jahresfriſt in eine<lb/> tiefe, finſtere Melancholie, die nahe an Wahn-<lb/> ſinn graͤnzte, er ſprach oft den ganzen Tag kein<lb/> Wort, wandelte am liebſten unter den Graͤbern<lb/> des Kirchhofs umher, ruhte oft auf ſeinen Leichen-<lb/> ſteinen, verſaͤumte aber nie die Zeit, wenn er ſein<lb/> Lottchen ſehen konnte. Beide ſprachen jetzt wenig,<lb/> blickten nur ſtill einander an, und kehrten dann<lb/> wieder heim. Im ſpaͤten Sommer des folgenden<lb/> <fw place="bottom" type="sig">Erſt. Baͤndch. G</fw><lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [97/0111]
ihn ſtets, und ſprach liebreich mit ihm. Wenn
ſich dann, was gewoͤhnlich nach einer kleinen Vier-
telſtunde geſchah, ihr Himmel wieder ſchloß, ſo
eilte er in's Freie, irrte in Feldern herum, kam
ſelten zum Mittagsmale nach Hauſe, ſtand aber
richtig am Abende am Ufer des Baches, welcher
das Dorf durchfloß. Lottchen gieng dann immer
am gegenſeitigen Ufer ſpazieren, und ſprach ohne
Furcht mit ihm, weil ſie waͤhnte, daß der Bach
die Graͤnze zwiſchen Himmel und Erde ſei. Einſt
wagte es Wilhelm, und ſprang hinuͤber, als er,
von innerm Gefuͤhle hingeriſſen, ſeiner Leidenſchaft
nicht mehr gebieten konnte. Lottchen ſank ohn-
maͤchtig zu Boden, und erwachte mit einer fuͤrch-
terlichen Raſerei, die ſich aber ſchon am dritten
Tage, und, was Wilhelmen noch am gluͤcklich-
ſten duͤnkte, mit gaͤnzlicher Vergeſſenheit ſeiner
Kuͤhnheit endigte. Sie ſah, und ſprach ihn, wie
ehe und zuvor, und gedachte derſelben nie.
Wilhelm verſank binnen Jahresfriſt in eine
tiefe, finſtere Melancholie, die nahe an Wahn-
ſinn graͤnzte, er ſprach oft den ganzen Tag kein
Wort, wandelte am liebſten unter den Graͤbern
des Kirchhofs umher, ruhte oft auf ſeinen Leichen-
ſteinen, verſaͤumte aber nie die Zeit, wenn er ſein
Lottchen ſehen konnte. Beide ſprachen jetzt wenig,
blickten nur ſtill einander an, und kehrten dann
wieder heim. Im ſpaͤten Sommer des folgenden
Erſt. Baͤndch. G
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |