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Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 4. Berlin, 1861.

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zu zerstreuen, so gut es ging, und ich muß gestehen,
sie zeigte sich gefaßter, als ich nach einer so schmerz¬
lichen Enttäuschung, einer so tiefen Demüthigung für
möglich gehalten hätte. Ich hoffte, daß die grausame
Lehre, die sie empfangen, ihr ein für alle Mal über
Oldenburg die Augen geöffnet hätte; hoffte es um so
mehr, als der Baron ihr durch mehrjährige Abwesen¬
heit Zeit genug zur Besinnung ließ. Da plötzlich
taucht er vor einigen Wochen ganz unerwartet wieder
auf. Mir ahnte sofort nichts Gutes -- denn das
Erscheinen dieses Mannes ist immer von etwas Außer¬
gewöhnlichem begleitet. Wie er es angefangen hat,
sich wieder Melitta's Gunst zu erwerben, wie es
möglich ist, daß Melitta schwach genug sein konnte,
ihm wieder ihre Gunst zu gewähren -- ich weiß es
nicht -- denn Beide haben in einem hohen Grade
das Talent, ihre Handlungen den Blicken der Men¬
schen zu entziehen. So viel steht fest: eine Aussöh¬
nung -- von der wir bei einem so erfahrenen Paare
annehmen müssen, daß sie eine vollständige war --
kam zu Stande, und damit die Feier dieser Aussöh¬
nung möglichst geheim bleibe, machen sie eine gemein¬
schaftliche Badereise; und wohin? nach N., dem Orte,
wo der Gemal Melitta's seit sieben Jahren krank
liegt! Wahrlich, ich bedaure Melitta. Wenn sie dar¬

zu zerſtreuen, ſo gut es ging, und ich muß geſtehen,
ſie zeigte ſich gefaßter, als ich nach einer ſo ſchmerz¬
lichen Enttäuſchung, einer ſo tiefen Demüthigung für
möglich gehalten hätte. Ich hoffte, daß die grauſame
Lehre, die ſie empfangen, ihr ein für alle Mal über
Oldenburg die Augen geöffnet hätte; hoffte es um ſo
mehr, als der Baron ihr durch mehrjährige Abweſen¬
heit Zeit genug zur Beſinnung ließ. Da plötzlich
taucht er vor einigen Wochen ganz unerwartet wieder
auf. Mir ahnte ſofort nichts Gutes — denn das
Erſcheinen dieſes Mannes iſt immer von etwas Außer¬
gewöhnlichem begleitet. Wie er es angefangen hat,
ſich wieder Melitta's Gunſt zu erwerben, wie es
möglich iſt, daß Melitta ſchwach genug ſein konnte,
ihm wieder ihre Gunſt zu gewähren — ich weiß es
nicht — denn Beide haben in einem hohen Grade
das Talent, ihre Handlungen den Blicken der Men¬
ſchen zu entziehen. So viel ſteht feſt: eine Ausſöh¬
nung — von der wir bei einem ſo erfahrenen Paare
annehmen müſſen, daß ſie eine vollſtändige war —
kam zu Stande, und damit die Feier dieſer Ausſöh¬
nung möglichſt geheim bleibe, machen ſie eine gemein¬
ſchaftliche Badereiſe; und wohin? nach N., dem Orte,
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[62/0072] zu zerſtreuen, ſo gut es ging, und ich muß geſtehen, ſie zeigte ſich gefaßter, als ich nach einer ſo ſchmerz¬ lichen Enttäuſchung, einer ſo tiefen Demüthigung für möglich gehalten hätte. Ich hoffte, daß die grauſame Lehre, die ſie empfangen, ihr ein für alle Mal über Oldenburg die Augen geöffnet hätte; hoffte es um ſo mehr, als der Baron ihr durch mehrjährige Abweſen¬ heit Zeit genug zur Beſinnung ließ. Da plötzlich taucht er vor einigen Wochen ganz unerwartet wieder auf. Mir ahnte ſofort nichts Gutes — denn das Erſcheinen dieſes Mannes iſt immer von etwas Außer¬ gewöhnlichem begleitet. Wie er es angefangen hat, ſich wieder Melitta's Gunſt zu erwerben, wie es möglich iſt, daß Melitta ſchwach genug ſein konnte, ihm wieder ihre Gunſt zu gewähren — ich weiß es nicht — denn Beide haben in einem hohen Grade das Talent, ihre Handlungen den Blicken der Men¬ ſchen zu entziehen. So viel ſteht feſt: eine Ausſöh¬ nung — von der wir bei einem ſo erfahrenen Paare annehmen müſſen, daß ſie eine vollſtändige war — kam zu Stande, und damit die Feier dieſer Ausſöh¬ nung möglichſt geheim bleibe, machen ſie eine gemein¬ ſchaftliche Badereiſe; und wohin? nach N., dem Orte, wo der Gemal Melitta's ſeit ſieben Jahren krank liegt! Wahrlich, ich bedaure Melitta. Wenn ſie dar¬

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Zitationshilfe: Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 4. Berlin, 1861, S. 62. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische04_1861/72>, abgerufen am 22.12.2024.