war nach jenem Abend am Strande wo möglich noch stiller und zurückhaltender geworden. Sie flüchtete, wenn sie irgend konnte, in die Einsamkeit ihres Zim¬ mers. Wenn sie in der Gesellschaft war, schloß sie sich am liebsten an ihren Vater an, oder suchte es auf den Spaziergängen so einzurichten, daß Bruno ihr Begleiter war. Sie hatte stets einen kleinen Dienst für ihn; bald mußte er ihr den Hut, bald die Man¬ tille tragen, bald hatte er ihr eine Blume zu pflücken, die auf der andern Seite des Grabens wuchs, bald ihr an einer steileren Stelle des Ufers die Hand zu reichen. Bruno unterzog sich diesem Dienste mit einem milden Ernst, der freilich den Spott des Baron Felix zuweilen herausforderte, für Jeden aber, der sich für den Knaben interessirte, und die wilde Un¬ bändigkeit seiner Natur kannte, etwas unendlich Rüh¬ rendes hatte. Sein Wesen schien, sobald Helene's Blick auf ihn ruhte, wie umgewandelt. Er war dann sanft und freundlich, dienstfertig und zuvorkommend; ein Wort von ihr, nur ein Wink ihrer langen, dunkeln Wimpern genügte, ihn, wenn er sich ja einmal von seiner alten Heftigkeit hinreißen ließ, sofort zu be¬ sänftigen. Diese Heftigkeit machte sich vor allem gegen Felix Luft, gegen den er einen Haß und eine Ver¬ achtung, die er sich kaum zu verbergen bemühte,
war nach jenem Abend am Strande wo möglich noch ſtiller und zurückhaltender geworden. Sie flüchtete, wenn ſie irgend konnte, in die Einſamkeit ihres Zim¬ mers. Wenn ſie in der Geſellſchaft war, ſchloß ſie ſich am liebſten an ihren Vater an, oder ſuchte es auf den Spaziergängen ſo einzurichten, daß Bruno ihr Begleiter war. Sie hatte ſtets einen kleinen Dienſt für ihn; bald mußte er ihr den Hut, bald die Man¬ tille tragen, bald hatte er ihr eine Blume zu pflücken, die auf der andern Seite des Grabens wuchs, bald ihr an einer ſteileren Stelle des Ufers die Hand zu reichen. Bruno unterzog ſich dieſem Dienſte mit einem milden Ernſt, der freilich den Spott des Baron Felix zuweilen herausforderte, für Jeden aber, der ſich für den Knaben intereſſirte, und die wilde Un¬ bändigkeit ſeiner Natur kannte, etwas unendlich Rüh¬ rendes hatte. Sein Weſen ſchien, ſobald Helene's Blick auf ihn ruhte, wie umgewandelt. Er war dann ſanft und freundlich, dienſtfertig und zuvorkommend; ein Wort von ihr, nur ein Wink ihrer langen, dunkeln Wimpern genügte, ihn, wenn er ſich ja einmal von ſeiner alten Heftigkeit hinreißen ließ, ſofort zu be¬ ſänftigen. Dieſe Heftigkeit machte ſich vor allem gegen Felix Luft, gegen den er einen Haß und eine Ver¬ achtung, die er ſich kaum zu verbergen bemühte,
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0052"n="42"/>
war nach jenem Abend am Strande wo möglich noch<lb/>ſtiller und zurückhaltender geworden. Sie flüchtete,<lb/>
wenn ſie irgend konnte, in die Einſamkeit ihres Zim¬<lb/>
mers. Wenn ſie in der Geſellſchaft war, ſchloß ſie<lb/>ſich am liebſten an ihren Vater an, oder ſuchte es<lb/>
auf den Spaziergängen ſo einzurichten, daß Bruno<lb/>
ihr Begleiter war. Sie hatte ſtets einen kleinen Dienſt<lb/>
für ihn; bald mußte er ihr den Hut, bald die Man¬<lb/>
tille tragen, bald hatte er ihr eine Blume zu pflücken,<lb/>
die auf der andern Seite des Grabens wuchs, bald<lb/>
ihr an einer ſteileren Stelle des Ufers die Hand zu<lb/>
reichen. Bruno unterzog ſich dieſem Dienſte mit<lb/>
einem milden Ernſt, der freilich den Spott des Baron<lb/>
Felix zuweilen herausforderte, für Jeden aber, der<lb/>ſich für den Knaben intereſſirte, und die wilde Un¬<lb/>
bändigkeit ſeiner Natur kannte, etwas unendlich Rüh¬<lb/>
rendes hatte. Sein Weſen ſchien, ſobald Helene's<lb/>
Blick auf ihn ruhte, wie umgewandelt. Er war dann<lb/>ſanft und freundlich, dienſtfertig und zuvorkommend;<lb/>
ein Wort von ihr, nur ein Wink ihrer langen, dunkeln<lb/>
Wimpern genügte, ihn, wenn er ſich ja einmal von<lb/>ſeiner alten Heftigkeit hinreißen ließ, ſofort zu be¬<lb/>ſänftigen. Dieſe Heftigkeit machte ſich vor allem gegen<lb/>
Felix Luft, gegen den er einen Haß und eine Ver¬<lb/>
achtung, die er ſich kaum zu verbergen bemühte,<lb/></p></div></body></text></TEI>
[42/0052]
war nach jenem Abend am Strande wo möglich noch
ſtiller und zurückhaltender geworden. Sie flüchtete,
wenn ſie irgend konnte, in die Einſamkeit ihres Zim¬
mers. Wenn ſie in der Geſellſchaft war, ſchloß ſie
ſich am liebſten an ihren Vater an, oder ſuchte es
auf den Spaziergängen ſo einzurichten, daß Bruno
ihr Begleiter war. Sie hatte ſtets einen kleinen Dienſt
für ihn; bald mußte er ihr den Hut, bald die Man¬
tille tragen, bald hatte er ihr eine Blume zu pflücken,
die auf der andern Seite des Grabens wuchs, bald
ihr an einer ſteileren Stelle des Ufers die Hand zu
reichen. Bruno unterzog ſich dieſem Dienſte mit
einem milden Ernſt, der freilich den Spott des Baron
Felix zuweilen herausforderte, für Jeden aber, der
ſich für den Knaben intereſſirte, und die wilde Un¬
bändigkeit ſeiner Natur kannte, etwas unendlich Rüh¬
rendes hatte. Sein Weſen ſchien, ſobald Helene's
Blick auf ihn ruhte, wie umgewandelt. Er war dann
ſanft und freundlich, dienſtfertig und zuvorkommend;
ein Wort von ihr, nur ein Wink ihrer langen, dunkeln
Wimpern genügte, ihn, wenn er ſich ja einmal von
ſeiner alten Heftigkeit hinreißen ließ, ſofort zu be¬
ſänftigen. Dieſe Heftigkeit machte ſich vor allem gegen
Felix Luft, gegen den er einen Haß und eine Ver¬
achtung, die er ſich kaum zu verbergen bemühte,
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 4. Berlin, 1861, S. 42. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische04_1861/52>, abgerufen am 22.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.