Melitta ist und auch Oldenburg. Vielleicht siehst Du sie, wenn sie Arm in Arm an Deiner Zelle vorüber¬ gehen; vielleicht kommt Dir bei der Gelegenheit der Verstand wieder, den andere Leute bei dem Anblick verlieren würden. Ich könnte ja auch eine kleine Reise nach N. machen, meine guten Freunde zu besuchen; wer weiß? vielleicht gefällt mir der Ort so sehr, daß ich gleich da bleibe."
"Wie geht es Bruno?" tönte eine Stimme aus dem Garten herauf. Es war Helene's Stimme. Os¬ wald sah ihr helles Gewand durch das Dunkel her¬ aufschimmern.
"Ich danke, gut!" antwortete er hinab.
"Schlafen Sie wohl!"
Und das helle Gewand verschwand in den Büschen.
"Nein, das Leben ist mehr wie ein hohles Nichts," murmelte Oswald, indem er das Fenster schloß; "hätte Berger dieses Mädchen gesehen, er hätte wieder an das Leben geglaubt. Und doch! er hat sie ja gesehen, gesehen und bewundert und besungen, und ist doch wahnsinnig geworden . . . o, es ist ein schauerliches Ding, dieses Leben -- öde und dunkel und gespenstisch und das einzige Reelle eine holde, freundliche Stimme, die uns schlafen gehen heißt."
3*
Melitta iſt und auch Oldenburg. Vielleicht ſiehſt Du ſie, wenn ſie Arm in Arm an Deiner Zelle vorüber¬ gehen; vielleicht kommt Dir bei der Gelegenheit der Verſtand wieder, den andere Leute bei dem Anblick verlieren würden. Ich könnte ja auch eine kleine Reiſe nach N. machen, meine guten Freunde zu beſuchen; wer weiß? vielleicht gefällt mir der Ort ſo ſehr, daß ich gleich da bleibe.“
„Wie geht es Bruno?“ tönte eine Stimme aus dem Garten herauf. Es war Helene's Stimme. Os¬ wald ſah ihr helles Gewand durch das Dunkel her¬ aufſchimmern.
„Ich danke, gut!“ antwortete er hinab.
„Schlafen Sie wohl!“
Und das helle Gewand verſchwand in den Büſchen.
„Nein, das Leben iſt mehr wie ein hohles Nichts,“ murmelte Oswald, indem er das Fenſter ſchloß; „hätte Berger dieſes Mädchen geſehen, er hätte wieder an das Leben geglaubt. Und doch! er hat ſie ja geſehen, geſehen und bewundert und beſungen, und iſt doch wahnſinnig geworden . . . o, es iſt ein ſchauerliches Ding, dieſes Leben — öde und dunkel und geſpenſtiſch und das einzige Reelle eine holde, freundliche Stimme, die uns ſchlafen gehen heißt.“
3*
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0045"n="35"/>
Melitta iſt und auch Oldenburg. Vielleicht ſiehſt Du<lb/>ſie, wenn ſie Arm in Arm an Deiner Zelle vorüber¬<lb/>
gehen; vielleicht kommt Dir bei der Gelegenheit der<lb/>
Verſtand wieder, den andere Leute bei dem Anblick<lb/>
verlieren würden. Ich könnte ja auch eine kleine Reiſe<lb/>
nach N. machen, meine guten Freunde zu beſuchen;<lb/>
wer weiß? vielleicht gefällt mir der Ort ſo ſehr, daß<lb/>
ich gleich da bleibe.“</p><lb/><p>„Wie geht es Bruno?“ tönte eine Stimme aus<lb/>
dem Garten herauf. Es war Helene's Stimme. Os¬<lb/>
wald ſah ihr helles Gewand durch das Dunkel her¬<lb/>
aufſchimmern.</p><lb/><p>„Ich danke, gut!“ antwortete er hinab.</p><lb/><p>„Schlafen Sie wohl!“</p><lb/><p>Und das helle Gewand verſchwand in den Büſchen.</p><lb/><p>„Nein, das Leben iſt mehr wie ein hohles Nichts,“<lb/>
murmelte Oswald, indem er das Fenſter ſchloß; „hätte<lb/>
Berger dieſes Mädchen geſehen, er hätte wieder an<lb/>
das Leben geglaubt. Und doch! er hat ſie ja geſehen,<lb/>
geſehen und bewundert und beſungen, und iſt doch<lb/>
wahnſinnig geworden . . . o, es iſt ein ſchauerliches<lb/>
Ding, dieſes Leben — öde und dunkel und geſpenſtiſch<lb/>
und das einzige Reelle eine holde, freundliche Stimme,<lb/>
die uns ſchlafen gehen heißt.“</p><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><fwplace="bottom"type="sig">3*<lb/></fw></div></body></text></TEI>
[35/0045]
Melitta iſt und auch Oldenburg. Vielleicht ſiehſt Du
ſie, wenn ſie Arm in Arm an Deiner Zelle vorüber¬
gehen; vielleicht kommt Dir bei der Gelegenheit der
Verſtand wieder, den andere Leute bei dem Anblick
verlieren würden. Ich könnte ja auch eine kleine Reiſe
nach N. machen, meine guten Freunde zu beſuchen;
wer weiß? vielleicht gefällt mir der Ort ſo ſehr, daß
ich gleich da bleibe.“
„Wie geht es Bruno?“ tönte eine Stimme aus
dem Garten herauf. Es war Helene's Stimme. Os¬
wald ſah ihr helles Gewand durch das Dunkel her¬
aufſchimmern.
„Ich danke, gut!“ antwortete er hinab.
„Schlafen Sie wohl!“
Und das helle Gewand verſchwand in den Büſchen.
„Nein, das Leben iſt mehr wie ein hohles Nichts,“
murmelte Oswald, indem er das Fenſter ſchloß; „hätte
Berger dieſes Mädchen geſehen, er hätte wieder an
das Leben geglaubt. Und doch! er hat ſie ja geſehen,
geſehen und bewundert und beſungen, und iſt doch
wahnſinnig geworden . . . o, es iſt ein ſchauerliches
Ding, dieſes Leben — öde und dunkel und geſpenſtiſch
und das einzige Reelle eine holde, freundliche Stimme,
die uns ſchlafen gehen heißt.“
3*
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 4. Berlin, 1861, S. 35. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische04_1861/45>, abgerufen am 16.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.