Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 4. Berlin, 1861.

Bild:
<< vorherige Seite

"Komm zu Dir, Bruno!" sagte Helene, dem Kna¬
ben mit leiser Hand über Stirn und Augen streichelnd.

Bruno ergriff diese Hand und drückte sie fest auf
seine Augen, durch deren geschlossene Wimpern sich
zwei große Thränen drängten. Dann richtete er sich
mit Oswald's Hülfe vollends auf.

"Mir ist wieder ganz wohl!" sagte er; "ich bin
wol gar ohnmächtig gewesen? Wie lange habe ich so
gelegen?"

"Nur ganz kurze Zeit," sagte Oswald, Bruno's
Gesicht mit seinem Taschentuche abtrocknend und den
Anzug wieder in Ordnung bringend.

"Du hast uns einen rechten Schrecken verursacht;
was hattest Du denn nur?" fragte die Baronin.

"Ich weiß es nicht," antwortete der Knabe, dessen
blasse Wangen plötzlich hohe Purpurgluth bedeckte;
"es kam ganz plötzlich. Danke, danke, ich glaube,
ich kann jetzt mit Herrn Stein's Hülfe ganz gut
weiter kommen."

"Wir wollen wieder umkehren," sagte die Baronin.
"Daß einem doch jedes, auch das bescheidenste Ver¬
gnügen durch irgend einen Unfall verleidet wird!"

Man stieg langsam das Ufer wieder hinauf und
trat, ziemlich einsilbig und verstimmt, den Rückweg
durch den Wald an. Felix, der sich zu erkälten fürch¬

„Komm zu Dir, Bruno!“ ſagte Helene, dem Kna¬
ben mit leiſer Hand über Stirn und Augen ſtreichelnd.

Bruno ergriff dieſe Hand und drückte ſie feſt auf
ſeine Augen, durch deren geſchloſſene Wimpern ſich
zwei große Thränen drängten. Dann richtete er ſich
mit Oswald's Hülfe vollends auf.

„Mir iſt wieder ganz wohl!“ ſagte er; „ich bin
wol gar ohnmächtig geweſen? Wie lange habe ich ſo
gelegen?“

„Nur ganz kurze Zeit,“ ſagte Oswald, Bruno's
Geſicht mit ſeinem Taſchentuche abtrocknend und den
Anzug wieder in Ordnung bringend.

„Du haſt uns einen rechten Schrecken verurſacht;
was hatteſt Du denn nur?“ fragte die Baronin.

„Ich weiß es nicht,“ antwortete der Knabe, deſſen
blaſſe Wangen plötzlich hohe Purpurgluth bedeckte;
„es kam ganz plötzlich. Danke, danke, ich glaube,
ich kann jetzt mit Herrn Stein's Hülfe ganz gut
weiter kommen.“

„Wir wollen wieder umkehren,“ ſagte die Baronin.
„Daß einem doch jedes, auch das beſcheidenſte Ver¬
gnügen durch irgend einen Unfall verleidet wird!“

Man ſtieg langſam das Ufer wieder hinauf und
trat, ziemlich einſilbig und verſtimmt, den Rückweg
durch den Wald an. Felix, der ſich zu erkälten fürch¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0041" n="31"/>
        <p>&#x201E;Komm zu Dir, Bruno!&#x201C; &#x017F;agte Helene, dem Kna¬<lb/>
ben mit lei&#x017F;er Hand über Stirn und Augen &#x017F;treichelnd.</p><lb/>
        <p>Bruno ergriff die&#x017F;e Hand und drückte &#x017F;ie fe&#x017F;t auf<lb/>
&#x017F;eine Augen, durch deren ge&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;ene Wimpern &#x017F;ich<lb/>
zwei große Thränen drängten. Dann richtete er &#x017F;ich<lb/>
mit Oswald's Hülfe vollends auf.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Mir i&#x017F;t wieder ganz wohl!&#x201C; &#x017F;agte er; &#x201E;ich bin<lb/>
wol gar ohnmächtig gewe&#x017F;en? Wie lange habe ich &#x017F;o<lb/>
gelegen?&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Nur ganz kurze Zeit,&#x201C; &#x017F;agte Oswald, Bruno's<lb/>
Ge&#x017F;icht mit &#x017F;einem Ta&#x017F;chentuche abtrocknend und den<lb/>
Anzug wieder in Ordnung bringend.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Du ha&#x017F;t uns einen rechten Schrecken verur&#x017F;acht;<lb/>
was hatte&#x017F;t Du denn nur?&#x201C; fragte die Baronin.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Ich weiß es nicht,&#x201C; antwortete der Knabe, de&#x017F;&#x017F;en<lb/>
bla&#x017F;&#x017F;e Wangen plötzlich hohe Purpurgluth bedeckte;<lb/>
&#x201E;es kam ganz plötzlich. Danke, danke, ich glaube,<lb/>
ich kann jetzt mit Herrn Stein's Hülfe ganz gut<lb/>
weiter kommen.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Wir wollen wieder umkehren,&#x201C; &#x017F;agte die Baronin.<lb/>
&#x201E;Daß einem doch jedes, auch das be&#x017F;cheiden&#x017F;te Ver¬<lb/>
gnügen durch irgend einen Unfall verleidet wird!&#x201C;</p><lb/>
        <p>Man &#x017F;tieg lang&#x017F;am das Ufer wieder hinauf und<lb/>
trat, ziemlich ein&#x017F;ilbig und ver&#x017F;timmt, den Rückweg<lb/>
durch den Wald an. Felix, der &#x017F;ich zu erkälten fürch¬<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[31/0041] „Komm zu Dir, Bruno!“ ſagte Helene, dem Kna¬ ben mit leiſer Hand über Stirn und Augen ſtreichelnd. Bruno ergriff dieſe Hand und drückte ſie feſt auf ſeine Augen, durch deren geſchloſſene Wimpern ſich zwei große Thränen drängten. Dann richtete er ſich mit Oswald's Hülfe vollends auf. „Mir iſt wieder ganz wohl!“ ſagte er; „ich bin wol gar ohnmächtig geweſen? Wie lange habe ich ſo gelegen?“ „Nur ganz kurze Zeit,“ ſagte Oswald, Bruno's Geſicht mit ſeinem Taſchentuche abtrocknend und den Anzug wieder in Ordnung bringend. „Du haſt uns einen rechten Schrecken verurſacht; was hatteſt Du denn nur?“ fragte die Baronin. „Ich weiß es nicht,“ antwortete der Knabe, deſſen blaſſe Wangen plötzlich hohe Purpurgluth bedeckte; „es kam ganz plötzlich. Danke, danke, ich glaube, ich kann jetzt mit Herrn Stein's Hülfe ganz gut weiter kommen.“ „Wir wollen wieder umkehren,“ ſagte die Baronin. „Daß einem doch jedes, auch das beſcheidenſte Ver¬ gnügen durch irgend einen Unfall verleidet wird!“ Man ſtieg langſam das Ufer wieder hinauf und trat, ziemlich einſilbig und verſtimmt, den Rückweg durch den Wald an. Felix, der ſich zu erkälten fürch¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische04_1861
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische04_1861/41
Zitationshilfe: Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 4. Berlin, 1861, S. 31. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische04_1861/41>, abgerufen am 29.11.2024.