Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 4. Berlin, 1861.

Bild:
<< vorherige Seite

schirmen, daß sie die blanke Geisteswaffe niemals in
einer unedlen Sache entweihen konnte, -- gerade das
mußte ihr Wesen für ein edles Gemüth so hinreißend,
mußte es einem unedlen so verhaßt machen.

Aber die Baronin gab sich, wie gesagt, in diesem
Augenblicke alle Mühe in einer versöhnlichen, fried¬
lichen, freundschaftlichen Stimmung zu sein. Sie ge¬
rieth bei diesem Versuch sogar in eine Art von lar¬
moyanter Stimmung. Vielleicht hoffte sie, daß Thrä¬
nen, Alles in Allem, doch das beste Mittel seien, das
edele Herz der Tochter zu rühren und sie für die
selbstischen Zwecke der Mutter zu gewinnen.

Da klopfte es an die Thür. Die Baronin griff
schnell nach ihrer Arbeit. Auf ihr herein! trat Helene
in das Zimmer. Die etwas kurzsichtige Baronin be¬
merkte nicht gleich, daß das edelstolze Antlitz des jun¬
gen Mädchens sehr bleich war, aber nicht von jener
krankhaften Farbe, wie sie die Feigheit auf die Wan¬
gen malt, sondern von jener Marmorblässe, die sich
sehr wohl mit Augen verträgt, aus denen eine he¬
roische Seele leuchtet.

"Es thut mir leid, liebe Tochter," sagte die Ba¬
ronin, "daß ich Dich heute in Deinem Morgenfleiße
stören muß. Ich habe Dich rufen lassen, um über
eine Sache von der äußersten Wichtigkeit recht ruhig,

ſchirmen, daß ſie die blanke Geiſteswaffe niemals in
einer unedlen Sache entweihen konnte, — gerade das
mußte ihr Weſen für ein edles Gemüth ſo hinreißend,
mußte es einem unedlen ſo verhaßt machen.

Aber die Baronin gab ſich, wie geſagt, in dieſem
Augenblicke alle Mühe in einer verſöhnlichen, fried¬
lichen, freundſchaftlichen Stimmung zu ſein. Sie ge¬
rieth bei dieſem Verſuch ſogar in eine Art von lar¬
moyanter Stimmung. Vielleicht hoffte ſie, daß Thrä¬
nen, Alles in Allem, doch das beſte Mittel ſeien, das
edele Herz der Tochter zu rühren und ſie für die
ſelbſtiſchen Zwecke der Mutter zu gewinnen.

Da klopfte es an die Thür. Die Baronin griff
ſchnell nach ihrer Arbeit. Auf ihr herein! trat Helene
in das Zimmer. Die etwas kurzſichtige Baronin be¬
merkte nicht gleich, daß das edelſtolze Antlitz des jun¬
gen Mädchens ſehr bleich war, aber nicht von jener
krankhaften Farbe, wie ſie die Feigheit auf die Wan¬
gen malt, ſondern von jener Marmorbläſſe, die ſich
ſehr wohl mit Augen verträgt, aus denen eine he¬
roiſche Seele leuchtet.

„Es thut mir leid, liebe Tochter,“ ſagte die Ba¬
ronin, „daß ich Dich heute in Deinem Morgenfleiße
ſtören muß. Ich habe Dich rufen laſſen, um über
eine Sache von der äußerſten Wichtigkeit recht ruhig,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0218" n="208"/>
&#x017F;chirmen, daß &#x017F;ie die blanke Gei&#x017F;teswaffe niemals in<lb/>
einer unedlen Sache entweihen konnte, &#x2014; gerade das<lb/>
mußte ihr We&#x017F;en für ein edles Gemüth &#x017F;o hinreißend,<lb/>
mußte es einem unedlen &#x017F;o verhaßt machen.</p><lb/>
        <p>Aber die Baronin gab &#x017F;ich, wie ge&#x017F;agt, in die&#x017F;em<lb/>
Augenblicke alle Mühe in einer ver&#x017F;öhnlichen, fried¬<lb/>
lichen, freund&#x017F;chaftlichen Stimmung zu &#x017F;ein. Sie ge¬<lb/>
rieth bei die&#x017F;em Ver&#x017F;uch &#x017F;ogar in eine Art von lar¬<lb/>
moyanter Stimmung. Vielleicht hoffte &#x017F;ie, daß Thrä¬<lb/>
nen, Alles in Allem, doch das be&#x017F;te Mittel &#x017F;eien, das<lb/>
edele Herz der Tochter zu rühren und &#x017F;ie für die<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;ti&#x017F;chen Zwecke der Mutter zu gewinnen.</p><lb/>
        <p>Da klopfte es an die Thür. Die Baronin griff<lb/>
&#x017F;chnell nach ihrer Arbeit. Auf ihr herein! trat Helene<lb/>
in das Zimmer. Die etwas kurz&#x017F;ichtige Baronin be¬<lb/>
merkte nicht gleich, daß das edel&#x017F;tolze Antlitz des jun¬<lb/>
gen Mädchens &#x017F;ehr bleich war, aber nicht von jener<lb/>
krankhaften Farbe, wie &#x017F;ie die Feigheit auf die Wan¬<lb/>
gen malt, &#x017F;ondern von jener Marmorblä&#x017F;&#x017F;e, die &#x017F;ich<lb/>
&#x017F;ehr wohl mit Augen verträgt, aus denen eine he¬<lb/>
roi&#x017F;che Seele leuchtet.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Es thut mir leid, liebe Tochter,&#x201C; &#x017F;agte die Ba¬<lb/>
ronin, &#x201E;daß ich Dich heute in Deinem Morgenfleiße<lb/>
&#x017F;tören muß. Ich habe Dich rufen la&#x017F;&#x017F;en, um über<lb/>
eine Sache von der äußer&#x017F;ten Wichtigkeit recht ruhig,<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[208/0218] ſchirmen, daß ſie die blanke Geiſteswaffe niemals in einer unedlen Sache entweihen konnte, — gerade das mußte ihr Weſen für ein edles Gemüth ſo hinreißend, mußte es einem unedlen ſo verhaßt machen. Aber die Baronin gab ſich, wie geſagt, in dieſem Augenblicke alle Mühe in einer verſöhnlichen, fried¬ lichen, freundſchaftlichen Stimmung zu ſein. Sie ge¬ rieth bei dieſem Verſuch ſogar in eine Art von lar¬ moyanter Stimmung. Vielleicht hoffte ſie, daß Thrä¬ nen, Alles in Allem, doch das beſte Mittel ſeien, das edele Herz der Tochter zu rühren und ſie für die ſelbſtiſchen Zwecke der Mutter zu gewinnen. Da klopfte es an die Thür. Die Baronin griff ſchnell nach ihrer Arbeit. Auf ihr herein! trat Helene in das Zimmer. Die etwas kurzſichtige Baronin be¬ merkte nicht gleich, daß das edelſtolze Antlitz des jun¬ gen Mädchens ſehr bleich war, aber nicht von jener krankhaften Farbe, wie ſie die Feigheit auf die Wan¬ gen malt, ſondern von jener Marmorbläſſe, die ſich ſehr wohl mit Augen verträgt, aus denen eine he¬ roiſche Seele leuchtet. „Es thut mir leid, liebe Tochter,“ ſagte die Ba¬ ronin, „daß ich Dich heute in Deinem Morgenfleiße ſtören muß. Ich habe Dich rufen laſſen, um über eine Sache von der äußerſten Wichtigkeit recht ruhig,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische04_1861
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische04_1861/218
Zitationshilfe: Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 4. Berlin, 1861, S. 208. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische04_1861/218>, abgerufen am 24.05.2024.