Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 4. Berlin, 1861.

Bild:
<< vorherige Seite

"Es ist nicht der alte Schmerz," sagte Bruno;
"aber es wird wieder vorübergehen; es ist jetzt schon
bedeutend besser. Aengstige Dich nicht, Oswald; sieh,
wenn ich so liege, fühle ich es viel weniger, fast gar
nicht; es war nur in der Nacht so bös; jetzt, da Du
hier bist und die Sonne scheint, wird es gleich besser."

"Es soll sofort Jemand zu Doctor Braun reiten!"
sagte Oswald aufspringend.

"Nein, nein!" bat Bruno; "thue es nicht; Du
weißt, wie fatal mir das immer ist. Jetzt ist über¬
dies noch Niemand im Hause auf; Du würdest Dich
vergeblich bemühen. Und dann -- ich wollte Dich
um etwas bitten. Komm! setze Dich wieder zu mir
auf's Bett; ich fühle, daß ich nicht aufstehen kann und
es ist die höchste Zeit, daß der Brief in Helenen's
Hände kommt."

Oswald glaubte, Bruno delirire; er faßte unwill¬
kürlich nach des Knaben Puls.

Bruno lächelte. Es war ein schwermüthiges Lächeln.

"Nein, nein!" sagte er, "fürchte nichts, ich bin
noch vollkommen bei Sinnen. Höre selbst, ob Alles,
was ich Dir sagen werde, nicht ausgezeichnet zusam¬
men paßt."

Bruno erinnerte nun Oswald, wie er vom Anfang
an behauptet habe, Felix sei gekommen, sich mit He¬

„Es iſt nicht der alte Schmerz,“ ſagte Bruno;
„aber es wird wieder vorübergehen; es iſt jetzt ſchon
bedeutend beſſer. Aengſtige Dich nicht, Oswald; ſieh,
wenn ich ſo liege, fühle ich es viel weniger, faſt gar
nicht; es war nur in der Nacht ſo bös; jetzt, da Du
hier biſt und die Sonne ſcheint, wird es gleich beſſer.“

„Es ſoll ſofort Jemand zu Doctor Braun reiten!“
ſagte Oswald aufſpringend.

„Nein, nein!“ bat Bruno; „thue es nicht; Du
weißt, wie fatal mir das immer iſt. Jetzt iſt über¬
dies noch Niemand im Hauſe auf; Du würdeſt Dich
vergeblich bemühen. Und dann — ich wollte Dich
um etwas bitten. Komm! ſetze Dich wieder zu mir
auf's Bett; ich fühle, daß ich nicht aufſtehen kann und
es iſt die höchſte Zeit, daß der Brief in Helenen's
Hände kommt.“

Oswald glaubte, Bruno delirire; er faßte unwill¬
kürlich nach des Knaben Puls.

Bruno lächelte. Es war ein ſchwermüthiges Lächeln.

„Nein, nein!“ ſagte er, „fürchte nichts, ich bin
noch vollkommen bei Sinnen. Höre ſelbſt, ob Alles,
was ich Dir ſagen werde, nicht ausgezeichnet zuſam¬
men paßt.“

Bruno erinnerte nun Oswald, wie er vom Anfang
an behauptet habe, Felix ſei gekommen, ſich mit He¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0196" n="186"/>
        <p>&#x201E;Es i&#x017F;t nicht der alte Schmerz,&#x201C; &#x017F;agte Bruno;<lb/>
&#x201E;aber es wird wieder vorübergehen; es i&#x017F;t jetzt &#x017F;chon<lb/>
bedeutend be&#x017F;&#x017F;er. Aeng&#x017F;tige Dich nicht, Oswald; &#x017F;ieh,<lb/>
wenn ich &#x017F;o liege, fühle ich es viel weniger, fa&#x017F;t gar<lb/>
nicht; es war nur in der Nacht &#x017F;o bös; jetzt, da Du<lb/>
hier bi&#x017F;t und die Sonne &#x017F;cheint, wird es gleich be&#x017F;&#x017F;er.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Es &#x017F;oll &#x017F;ofort Jemand zu Doctor Braun reiten!&#x201C;<lb/>
&#x017F;agte Oswald auf&#x017F;pringend.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Nein, nein!&#x201C; bat Bruno; &#x201E;thue es nicht; Du<lb/>
weißt, wie fatal mir das immer i&#x017F;t. Jetzt i&#x017F;t über¬<lb/>
dies noch Niemand im Hau&#x017F;e auf; Du würde&#x017F;t Dich<lb/>
vergeblich bemühen. Und dann &#x2014; ich wollte Dich<lb/>
um etwas bitten. Komm! &#x017F;etze Dich wieder zu mir<lb/>
auf's Bett; ich fühle, daß ich nicht auf&#x017F;tehen kann und<lb/>
es i&#x017F;t die höch&#x017F;te Zeit, daß der Brief in Helenen's<lb/>
Hände kommt.&#x201C;</p><lb/>
        <p>Oswald glaubte, Bruno delirire; er faßte unwill¬<lb/>
kürlich nach des Knaben Puls.</p><lb/>
        <p>Bruno lächelte. Es war ein &#x017F;chwermüthiges Lächeln.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Nein, nein!&#x201C; &#x017F;agte er, &#x201E;fürchte nichts, ich bin<lb/>
noch vollkommen bei Sinnen. Höre &#x017F;elb&#x017F;t, ob Alles,<lb/>
was ich Dir &#x017F;agen werde, nicht ausgezeichnet zu&#x017F;am¬<lb/>
men paßt.&#x201C;</p><lb/>
        <p>Bruno erinnerte nun Oswald, wie er vom Anfang<lb/>
an behauptet habe, Felix &#x017F;ei gekommen, &#x017F;ich mit He¬<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[186/0196] „Es iſt nicht der alte Schmerz,“ ſagte Bruno; „aber es wird wieder vorübergehen; es iſt jetzt ſchon bedeutend beſſer. Aengſtige Dich nicht, Oswald; ſieh, wenn ich ſo liege, fühle ich es viel weniger, faſt gar nicht; es war nur in der Nacht ſo bös; jetzt, da Du hier biſt und die Sonne ſcheint, wird es gleich beſſer.“ „Es ſoll ſofort Jemand zu Doctor Braun reiten!“ ſagte Oswald aufſpringend. „Nein, nein!“ bat Bruno; „thue es nicht; Du weißt, wie fatal mir das immer iſt. Jetzt iſt über¬ dies noch Niemand im Hauſe auf; Du würdeſt Dich vergeblich bemühen. Und dann — ich wollte Dich um etwas bitten. Komm! ſetze Dich wieder zu mir auf's Bett; ich fühle, daß ich nicht aufſtehen kann und es iſt die höchſte Zeit, daß der Brief in Helenen's Hände kommt.“ Oswald glaubte, Bruno delirire; er faßte unwill¬ kürlich nach des Knaben Puls. Bruno lächelte. Es war ein ſchwermüthiges Lächeln. „Nein, nein!“ ſagte er, „fürchte nichts, ich bin noch vollkommen bei Sinnen. Höre ſelbſt, ob Alles, was ich Dir ſagen werde, nicht ausgezeichnet zuſam¬ men paßt.“ Bruno erinnerte nun Oswald, wie er vom Anfang an behauptet habe, Felix ſei gekommen, ſich mit He¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische04_1861
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische04_1861/196
Zitationshilfe: Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 4. Berlin, 1861, S. 186. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische04_1861/196>, abgerufen am 22.12.2024.