Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 4. Berlin, 1861.

Bild:
<< vorherige Seite

hielt. Er hatte sein Opfer losgelassen und war auf¬
gesprungen. Die Gestalt hatte sich eilig entfernt, er
war ihr ein paar Schritte gefolgt, bis jene in der
Richtung nach dem Leutehause hin verschwunden war
und er seinen Irrthum eingesehen hatte. Sich wieder
über seine Beute zu stürzen, nachdem er einmal weg¬
gescheucht war, war ihm unmöglich; er sah, wie Felix
sich nach einigen vergeblichen Versuchen in die Höhe
richtete. Das war ihm genug gewesen; er konnte sich
in seine Kammer und in sein Bett stehlen, ohne einen
Mord auf dem Gewissen zu haben.

Und doch war er kaum weniger erregt. Sein Herz
hämmerte, seine Pulse flogen; glühende Hitze und
Fieberfrost wechselten mit einander ab. Das verwor¬
ren klare Bild der Kampfesscene drängte sich immer
wieder in den Vordergrund; der Triumph, seinen
Todfeind so gänzlich besiegt zu haben, wurde durch
den Gedanken verbittert, daß Helene trotzdem noch
immer nicht frei sei. Das quälte ihn fast noch mehr
als die heftigen Schmerzen, die er, sobald er nur
einigermaßen zur Ruhe gekommen war, in der Seite
empfand, und die gar nicht nachlassen wollten, ja,
wie es schien, nur immer heftiger wurden und sich
von einem anfänglich kleinen Punkte aus, immer weiter
verbreiteten.

hielt. Er hatte ſein Opfer losgelaſſen und war auf¬
geſprungen. Die Geſtalt hatte ſich eilig entfernt, er
war ihr ein paar Schritte gefolgt, bis jene in der
Richtung nach dem Leutehauſe hin verſchwunden war
und er ſeinen Irrthum eingeſehen hatte. Sich wieder
über ſeine Beute zu ſtürzen, nachdem er einmal weg¬
geſcheucht war, war ihm unmöglich; er ſah, wie Felix
ſich nach einigen vergeblichen Verſuchen in die Höhe
richtete. Das war ihm genug geweſen; er konnte ſich
in ſeine Kammer und in ſein Bett ſtehlen, ohne einen
Mord auf dem Gewiſſen zu haben.

Und doch war er kaum weniger erregt. Sein Herz
hämmerte, ſeine Pulſe flogen; glühende Hitze und
Fieberfroſt wechſelten mit einander ab. Das verwor¬
ren klare Bild der Kampfesſcene drängte ſich immer
wieder in den Vordergrund; der Triumph, ſeinen
Todfeind ſo gänzlich beſiegt zu haben, wurde durch
den Gedanken verbittert, daß Helene trotzdem noch
immer nicht frei ſei. Das quälte ihn faſt noch mehr
als die heftigen Schmerzen, die er, ſobald er nur
einigermaßen zur Ruhe gekommen war, in der Seite
empfand, und die gar nicht nachlaſſen wollten, ja,
wie es ſchien, nur immer heftiger wurden und ſich
von einem anfänglich kleinen Punkte aus, immer weiter
verbreiteten.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0194" n="184"/>
hielt. Er hatte &#x017F;ein Opfer losgela&#x017F;&#x017F;en und war auf¬<lb/>
ge&#x017F;prungen. Die Ge&#x017F;talt hatte &#x017F;ich eilig entfernt, er<lb/>
war ihr ein paar Schritte gefolgt, bis jene in der<lb/>
Richtung nach dem Leutehau&#x017F;e hin ver&#x017F;chwunden war<lb/>
und er &#x017F;einen Irrthum einge&#x017F;ehen hatte. Sich wieder<lb/>
über &#x017F;eine Beute zu &#x017F;türzen, nachdem er einmal weg¬<lb/>
ge&#x017F;cheucht war, war ihm unmöglich; er &#x017F;ah, wie Felix<lb/>
&#x017F;ich nach einigen vergeblichen Ver&#x017F;uchen in die Höhe<lb/>
richtete. Das war ihm genug gewe&#x017F;en; er konnte &#x017F;ich<lb/>
in &#x017F;eine Kammer und in &#x017F;ein Bett &#x017F;tehlen, ohne einen<lb/>
Mord auf dem Gewi&#x017F;&#x017F;en zu haben.</p><lb/>
        <p>Und doch war er kaum weniger erregt. Sein Herz<lb/>
hämmerte, &#x017F;eine Pul&#x017F;e flogen; glühende Hitze und<lb/>
Fieberfro&#x017F;t wech&#x017F;elten mit einander ab. Das verwor¬<lb/>
ren klare Bild der Kampfes&#x017F;cene drängte &#x017F;ich immer<lb/>
wieder in den Vordergrund; der Triumph, &#x017F;einen<lb/>
Todfeind &#x017F;o gänzlich be&#x017F;iegt zu haben, wurde durch<lb/>
den Gedanken verbittert, daß Helene trotzdem noch<lb/>
immer nicht frei &#x017F;ei. Das quälte ihn fa&#x017F;t noch mehr<lb/>
als die heftigen Schmerzen, die er, &#x017F;obald er nur<lb/>
einigermaßen zur Ruhe gekommen war, in der Seite<lb/>
empfand, und die gar nicht nachla&#x017F;&#x017F;en wollten, ja,<lb/>
wie es &#x017F;chien, nur immer heftiger wurden und &#x017F;ich<lb/>
von einem anfänglich kleinen Punkte aus, immer weiter<lb/>
verbreiteten.</p><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[184/0194] hielt. Er hatte ſein Opfer losgelaſſen und war auf¬ geſprungen. Die Geſtalt hatte ſich eilig entfernt, er war ihr ein paar Schritte gefolgt, bis jene in der Richtung nach dem Leutehauſe hin verſchwunden war und er ſeinen Irrthum eingeſehen hatte. Sich wieder über ſeine Beute zu ſtürzen, nachdem er einmal weg¬ geſcheucht war, war ihm unmöglich; er ſah, wie Felix ſich nach einigen vergeblichen Verſuchen in die Höhe richtete. Das war ihm genug geweſen; er konnte ſich in ſeine Kammer und in ſein Bett ſtehlen, ohne einen Mord auf dem Gewiſſen zu haben. Und doch war er kaum weniger erregt. Sein Herz hämmerte, ſeine Pulſe flogen; glühende Hitze und Fieberfroſt wechſelten mit einander ab. Das verwor¬ ren klare Bild der Kampfesſcene drängte ſich immer wieder in den Vordergrund; der Triumph, ſeinen Todfeind ſo gänzlich beſiegt zu haben, wurde durch den Gedanken verbittert, daß Helene trotzdem noch immer nicht frei ſei. Das quälte ihn faſt noch mehr als die heftigen Schmerzen, die er, ſobald er nur einigermaßen zur Ruhe gekommen war, in der Seite empfand, und die gar nicht nachlaſſen wollten, ja, wie es ſchien, nur immer heftiger wurden und ſich von einem anfänglich kleinen Punkte aus, immer weiter verbreiteten.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische04_1861
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische04_1861/194
Zitationshilfe: Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 4. Berlin, 1861, S. 184. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische04_1861/194>, abgerufen am 22.12.2024.