nichts wollen, als unser Glück, und unser Glück nicht in der Erfüllung ihrer eigenen Wünsche, in der Be¬ friedigung ihrer eigenen Selbstsucht erblicken. Und ist dies nicht der Fall bei den Meinigen? kann ich ihnen mein Herz erschließen? muß ich nicht stets fürchten, bei ihnen anzustoßen, wenn ich spreche, wie ich denke? fragen sie nach meinen Neigungen? ängstigen Sie mich nicht vielmehr mit Zumuthungen, mit Andeutun¬ gen, die mir das Blut erstarren machen? Freilich mein guter alter Vater -- er würde, wenn es zum Aeußersten käme, mich nicht verlassen; aber, großer Gott, ist denn die Furcht, es könne bis dahin kommen, nicht schon schlimm genug? und ist denn der Beistand, den man sich ertrotzen muß, etwas, worauf wir mit vollem Vertrauen, mit gläubiger Zuversicht blicken können? Ach, Mary, ich kann Dir nicht sagen, wie fremd, wie unheimlich mir der Geist ist, der in meinem elterlichen Hause waltet, wie sehr ich mich zurücksehne nach unserem stillen Pensionsleben, wo wir, wenn uns auch die Welt draußen verschlossen war, in unseren Träumen und ach! vor allem in unserer herzlichen Freundschaft eine schönere und reichere Welt fanden. Hier hab' ich Niemand, dem ich einen Blick in diese Welt verstatten möchte. Niemand, als einen Knaben, bei dem ich auf Verständniß nicht rechnen kann, und
nichts wollen, als unſer Glück, und unſer Glück nicht in der Erfüllung ihrer eigenen Wünſche, in der Be¬ friedigung ihrer eigenen Selbſtſucht erblicken. Und iſt dies nicht der Fall bei den Meinigen? kann ich ihnen mein Herz erſchließen? muß ich nicht ſtets fürchten, bei ihnen anzuſtoßen, wenn ich ſpreche, wie ich denke? fragen ſie nach meinen Neigungen? ängſtigen Sie mich nicht vielmehr mit Zumuthungen, mit Andeutun¬ gen, die mir das Blut erſtarren machen? Freilich mein guter alter Vater — er würde, wenn es zum Aeußerſten käme, mich nicht verlaſſen; aber, großer Gott, iſt denn die Furcht, es könne bis dahin kommen, nicht ſchon ſchlimm genug? und iſt denn der Beiſtand, den man ſich ertrotzen muß, etwas, worauf wir mit vollem Vertrauen, mit gläubiger Zuverſicht blicken können? Ach, Mary, ich kann Dir nicht ſagen, wie fremd, wie unheimlich mir der Geiſt iſt, der in meinem elterlichen Hauſe waltet, wie ſehr ich mich zurückſehne nach unſerem ſtillen Penſionsleben, wo wir, wenn uns auch die Welt draußen verſchloſſen war, in unſeren Träumen und ach! vor allem in unſerer herzlichen Freundſchaft eine ſchönere und reichere Welt fanden. Hier hab' ich Niemand, dem ich einen Blick in dieſe Welt verſtatten möchte. Niemand, als einen Knaben, bei dem ich auf Verſtändniß nicht rechnen kann, und
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nichts wollen, als unſer Glück, und unſer Glück nicht
in der Erfüllung ihrer eigenen Wünſche, in der Be¬
friedigung ihrer eigenen Selbſtſucht erblicken. Und iſt
dies nicht der Fall bei den Meinigen? kann ich ihnen
mein Herz erſchließen? muß ich nicht ſtets fürchten,
bei ihnen anzuſtoßen, wenn ich ſpreche, wie ich denke?
fragen ſie nach meinen Neigungen? ängſtigen Sie
mich nicht vielmehr mit Zumuthungen, mit Andeutun¬
gen, die mir das Blut erſtarren machen? Freilich
mein guter alter Vater — er würde, wenn es zum
Aeußerſten käme, mich nicht verlaſſen; aber, großer
Gott, iſt denn die Furcht, es könne bis dahin kommen,
nicht ſchon ſchlimm genug? und iſt denn der Beiſtand,
den man ſich ertrotzen muß, etwas, worauf wir mit
vollem Vertrauen, mit gläubiger Zuverſicht blicken
können? Ach, Mary, ich kann Dir nicht ſagen, wie
fremd, wie unheimlich mir der Geiſt iſt, der in meinem
elterlichen Hauſe waltet, wie ſehr ich mich zurückſehne
nach unſerem ſtillen Penſionsleben, wo wir, wenn
uns auch die Welt draußen verſchloſſen war, in unſeren
Träumen und ach! vor allem in unſerer herzlichen
Freundſchaft eine ſchönere und reichere Welt fanden.
Hier hab' ich Niemand, dem ich einen Blick in dieſe
Welt verſtatten möchte. Niemand, als einen Knaben,
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Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 4. Berlin, 1861, S. 125. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische04_1861/135>, abgerufen am 22.12.2024.
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