der Mutter stattgefunden hatte, war nur eine schein¬ bare gewesen. Nie stehen sich zwei Wesen schroffer gegenüber, als wenn sie, mit der gleichen Energie, mit derselben Kraft des Willens und Vollbringens ausgestattet, nach verschiedenen Zielen streben. Zwi¬ schen der Baronin, die nur weltliche Zwecke kannte und verfolgte, und ihrer Tochter, die einem vielleicht übertriebenen, immer aber hochsinnigen Idealismus huldigte, war auf die Dauer keine Vereinigung möglich.
Das sprach auch Helene wiederholt in den Briefen aus, welche sie jetzt häufig an ihre liebste Freundin und einzige Vertraute, Miß Mary Burton, nach Ham¬ burg schrieb. "Dearest Mary," hieß es in einem derselben, "wie oft hast Du Dich über das grausame Geschick beklagt, welches Dich mit Reichthum über¬ schüttete, um Dir alle Verwandte zu rauben, Eltern, Geschwister, Cousins und Cousinen -- alle jene Freunde und Freundinnen, die uns die Natur selbst mit auf den Lebensweg giebt. Aber, glaube mir, liebes Mäd¬ chen, es giebt noch ein schlimmeres Loos, als das Deine. Die Wehmuth, die Dich bei dem Gedanken erfaßt, allein dazustehen in der Welt, ist nicht ohne eine gewisse Süßigkeit. Wie oft sprachst Du mit Entzücken von Deinem Bruder Harry, der Dir in
der Mutter ſtattgefunden hatte, war nur eine ſchein¬ bare geweſen. Nie ſtehen ſich zwei Weſen ſchroffer gegenüber, als wenn ſie, mit der gleichen Energie, mit derſelben Kraft des Willens und Vollbringens ausgeſtattet, nach verſchiedenen Zielen ſtreben. Zwi¬ ſchen der Baronin, die nur weltliche Zwecke kannte und verfolgte, und ihrer Tochter, die einem vielleicht übertriebenen, immer aber hochſinnigen Idealismus huldigte, war auf die Dauer keine Vereinigung möglich.
Das ſprach auch Helene wiederholt in den Briefen aus, welche ſie jetzt häufig an ihre liebſte Freundin und einzige Vertraute, Miß Mary Burton, nach Ham¬ burg ſchrieb. „Dearest Mary,“ hieß es in einem derſelben, „wie oft haſt Du Dich über das grauſame Geſchick beklagt, welches Dich mit Reichthum über¬ ſchüttete, um Dir alle Verwandte zu rauben, Eltern, Geſchwiſter, Couſins und Couſinen — alle jene Freunde und Freundinnen, die uns die Natur ſelbſt mit auf den Lebensweg giebt. Aber, glaube mir, liebes Mäd¬ chen, es giebt noch ein ſchlimmeres Loos, als das Deine. Die Wehmuth, die Dich bei dem Gedanken erfaßt, allein dazuſtehen in der Welt, iſt nicht ohne eine gewiſſe Süßigkeit. Wie oft ſprachſt Du mit Entzücken von Deinem Bruder Harry, der Dir in
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0133"n="123"/>
der Mutter ſtattgefunden hatte, war nur eine ſchein¬<lb/>
bare geweſen. Nie ſtehen ſich zwei Weſen ſchroffer<lb/>
gegenüber, als wenn ſie, mit der gleichen Energie,<lb/>
mit derſelben Kraft des Willens und Vollbringens<lb/>
ausgeſtattet, nach verſchiedenen Zielen ſtreben. Zwi¬<lb/>ſchen der Baronin, die nur weltliche Zwecke kannte<lb/>
und verfolgte, und ihrer Tochter, die einem vielleicht<lb/>
übertriebenen, immer aber hochſinnigen Idealismus<lb/>
huldigte, war auf die Dauer keine Vereinigung<lb/>
möglich.</p><lb/><p>Das ſprach auch Helene wiederholt in den Briefen<lb/>
aus, welche ſie jetzt häufig an ihre liebſte Freundin<lb/>
und einzige Vertraute, Miß Mary Burton, nach Ham¬<lb/>
burg ſchrieb. <hirendition="#aq">„Dearest Mary,“</hi> hieß es in einem<lb/>
derſelben, „wie oft haſt Du Dich über das grauſame<lb/>
Geſchick beklagt, welches Dich mit Reichthum über¬<lb/>ſchüttete, um Dir alle Verwandte zu rauben, Eltern,<lb/>
Geſchwiſter, Couſins und Couſinen — alle jene Freunde<lb/>
und Freundinnen, die uns die Natur ſelbſt mit auf<lb/>
den Lebensweg giebt. Aber, glaube mir, liebes Mäd¬<lb/>
chen, es giebt noch ein ſchlimmeres Loos, als das<lb/>
Deine. Die Wehmuth, die Dich bei dem Gedanken<lb/>
erfaßt, allein dazuſtehen in der Welt, iſt nicht ohne<lb/>
eine gewiſſe Süßigkeit. Wie oft ſprachſt Du mit<lb/>
Entzücken von Deinem Bruder Harry, der Dir in<lb/></p></div></body></text></TEI>
[123/0133]
der Mutter ſtattgefunden hatte, war nur eine ſchein¬
bare geweſen. Nie ſtehen ſich zwei Weſen ſchroffer
gegenüber, als wenn ſie, mit der gleichen Energie,
mit derſelben Kraft des Willens und Vollbringens
ausgeſtattet, nach verſchiedenen Zielen ſtreben. Zwi¬
ſchen der Baronin, die nur weltliche Zwecke kannte
und verfolgte, und ihrer Tochter, die einem vielleicht
übertriebenen, immer aber hochſinnigen Idealismus
huldigte, war auf die Dauer keine Vereinigung
möglich.
Das ſprach auch Helene wiederholt in den Briefen
aus, welche ſie jetzt häufig an ihre liebſte Freundin
und einzige Vertraute, Miß Mary Burton, nach Ham¬
burg ſchrieb. „Dearest Mary,“ hieß es in einem
derſelben, „wie oft haſt Du Dich über das grauſame
Geſchick beklagt, welches Dich mit Reichthum über¬
ſchüttete, um Dir alle Verwandte zu rauben, Eltern,
Geſchwiſter, Couſins und Couſinen — alle jene Freunde
und Freundinnen, die uns die Natur ſelbſt mit auf
den Lebensweg giebt. Aber, glaube mir, liebes Mäd¬
chen, es giebt noch ein ſchlimmeres Loos, als das
Deine. Die Wehmuth, die Dich bei dem Gedanken
erfaßt, allein dazuſtehen in der Welt, iſt nicht ohne
eine gewiſſe Süßigkeit. Wie oft ſprachſt Du mit
Entzücken von Deinem Bruder Harry, der Dir in
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 4. Berlin, 1861, S. 123. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische04_1861/133>, abgerufen am 22.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.