könne? Sie hatte seiner in ihrer letzten Stunde ge¬ dacht; er hatte in all diesen Tagen keine Minute Zeit gehabt, an sie zu denken. Sie hatte nicht sterben mögen, ohne ihm ihren Segen zu geben; was hatte er ihr im Leben Gutes gethan, diesen Segen zu ver¬ dienen? -- Was half es nun der Todten, daß er für ihr Begräbniß Sorge trug? daß er mit Bruno hinter dem Leiterwagen herging, auf dem man ihren schmuck¬ losen Sarg über die Haide nach Faschwitz fuhr, ihn auf dem dortigen Friedhofe in die Gruft zu senken? daß er nach Grünwald schrieb und eine kleine Mar¬ mortafel bestellte, auf daß ihr Grab nicht wie einer Geächteten Grab sei? Wie hätte ihm die Lebende für den geringsten Theil all der Mühe, die er sich jetzt um die Todte gab, so herzlich gedankt!
Und war es, weil er ihn so wenig verdient hatte, daß der Segen der Sterbenden nicht in Erfüllung ging? Der Frieden, den sie auf ihn herabflehte mit dem letzten Hauch ihres Mundes, wollte nicht einziehen in sein Herz. Wie ein Verzweifelter kämpfte er mit der rasenden Leidenschaft, die sich wie ein wilder Or¬ kan über ihn gestürzt hatte, aber jeder neue Tag mußte ihn nur immer mehr von seiner Ohnmacht überzeugen. Brachte ihn doch jeder neue Tag oft auf lange Stun¬ den in die Gesellschaft des schönen Mädchens; trat
könne? Sie hatte ſeiner in ihrer letzten Stunde ge¬ dacht; er hatte in all dieſen Tagen keine Minute Zeit gehabt, an ſie zu denken. Sie hatte nicht ſterben mögen, ohne ihm ihren Segen zu geben; was hatte er ihr im Leben Gutes gethan, dieſen Segen zu ver¬ dienen? — Was half es nun der Todten, daß er für ihr Begräbniß Sorge trug? daß er mit Bruno hinter dem Leiterwagen herging, auf dem man ihren ſchmuck¬ loſen Sarg über die Haide nach Faſchwitz fuhr, ihn auf dem dortigen Friedhofe in die Gruft zu ſenken? daß er nach Grünwald ſchrieb und eine kleine Mar¬ mortafel beſtellte, auf daß ihr Grab nicht wie einer Geächteten Grab ſei? Wie hätte ihm die Lebende für den geringſten Theil all der Mühe, die er ſich jetzt um die Todte gab, ſo herzlich gedankt!
Und war es, weil er ihn ſo wenig verdient hatte, daß der Segen der Sterbenden nicht in Erfüllung ging? Der Frieden, den ſie auf ihn herabflehte mit dem letzten Hauch ihres Mundes, wollte nicht einziehen in ſein Herz. Wie ein Verzweifelter kämpfte er mit der raſenden Leidenſchaft, die ſich wie ein wilder Or¬ kan über ihn geſtürzt hatte, aber jeder neue Tag mußte ihn nur immer mehr von ſeiner Ohnmacht überzeugen. Brachte ihn doch jeder neue Tag oft auf lange Stun¬ den in die Geſellſchaft des ſchönen Mädchens; trat
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könne? Sie hatte ſeiner in ihrer letzten Stunde ge¬
dacht; er hatte in all dieſen Tagen keine Minute Zeit
gehabt, an ſie zu denken. Sie hatte nicht ſterben
mögen, ohne ihm ihren Segen zu geben; was hatte
er ihr im Leben Gutes gethan, dieſen Segen zu ver¬
dienen? — Was half es nun der Todten, daß er für
ihr Begräbniß Sorge trug? daß er mit Bruno hinter
dem Leiterwagen herging, auf dem man ihren ſchmuck¬
loſen Sarg über die Haide nach Faſchwitz fuhr, ihn
auf dem dortigen Friedhofe in die Gruft zu ſenken?
daß er nach Grünwald ſchrieb und eine kleine Mar¬
mortafel beſtellte, auf daß ihr Grab nicht wie einer
Geächteten Grab ſei? Wie hätte ihm die Lebende für
den geringſten Theil all der Mühe, die er ſich jetzt
um die Todte gab, ſo herzlich gedankt!
Und war es, weil er ihn ſo wenig verdient hatte,
daß der Segen der Sterbenden nicht in Erfüllung
ging? Der Frieden, den ſie auf ihn herabflehte mit
dem letzten Hauch ihres Mundes, wollte nicht einziehen
in ſein Herz. Wie ein Verzweifelter kämpfte er mit
der raſenden Leidenſchaft, die ſich wie ein wilder Or¬
kan über ihn geſtürzt hatte, aber jeder neue Tag mußte
ihn nur immer mehr von ſeiner Ohnmacht überzeugen.
Brachte ihn doch jeder neue Tag oft auf lange Stun¬
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Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 4. Berlin, 1861, S. 118. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische04_1861/128>, abgerufen am 22.12.2024.
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