tiefen weichen Stimme die ungarische Volksweise sang. Wie vieles hatte sich nicht seit jenem Tage geändert! was hatte er nicht Alles gewonnen und wieder ver¬ loren ! Damals hatte sein Herz der schönen Frau so sehnsuchtsvoll entgegengeschlagen; heute erfüllte die Erinnerung an sie seine Seele mit Trauer und Schmerz. Warum hatte sie ihn so unendlich glücklich gemacht, wenn ihre Liebe doch nur die souveräne Laune eines Augenblicks war, nur ein hübsches Spiel, der Stunden Einerlei auszufüllen, über den momentanen Bruch ihres Verhältnisses zu Oldenburg besser hinwegzukom¬ men? Hatte er das Gefühl, daß sie, die hochgeborne Dame, die stolze Aristokratin, ihn über kurz oder lang doch verleugnen werde, werde verleugnen müssen, nicht immer mit sich herumgetragen? hatte sich dieser Ge¬ danke nicht selbst in den sonnigsten Augenblicken der Liebe wie ein düsterer Schatten zwischen ihn und die reizende Frau gestohlen? Hatte er nicht, als der Name Oldenburg's zum ersten Mal sein Ohr berührte, in diesem Manne, wie von einem Dämon getrieben, seinen Nebenbuhler erkannt? Und mußte er sich nicht eingestehen, daß dieser Mann Alles besitze, in dem Herzen einer stolzen Frau eine heroische Leidenschaft zu entflammen? Rang und Reichthum, eminente Ga¬ ben, den Muth des Ritters ohne Furcht und Tadel,
tiefen weichen Stimme die ungariſche Volksweiſe ſang. Wie vieles hatte ſich nicht ſeit jenem Tage geändert! was hatte er nicht Alles gewonnen und wieder ver¬ loren ! Damals hatte ſein Herz der ſchönen Frau ſo ſehnſuchtsvoll entgegengeſchlagen; heute erfüllte die Erinnerung an ſie ſeine Seele mit Trauer und Schmerz. Warum hatte ſie ihn ſo unendlich glücklich gemacht, wenn ihre Liebe doch nur die ſouveräne Laune eines Augenblicks war, nur ein hübſches Spiel, der Stunden Einerlei auszufüllen, über den momentanen Bruch ihres Verhältniſſes zu Oldenburg beſſer hinwegzukom¬ men? Hatte er das Gefühl, daß ſie, die hochgeborne Dame, die ſtolze Ariſtokratin, ihn über kurz oder lang doch verleugnen werde, werde verleugnen müſſen, nicht immer mit ſich herumgetragen? hatte ſich dieſer Ge¬ danke nicht ſelbſt in den ſonnigſten Augenblicken der Liebe wie ein düſterer Schatten zwiſchen ihn und die reizende Frau geſtohlen? Hatte er nicht, als der Name Oldenburg's zum erſten Mal ſein Ohr berührte, in dieſem Manne, wie von einem Dämon getrieben, ſeinen Nebenbuhler erkannt? Und mußte er ſich nicht eingeſtehen, daß dieſer Mann Alles beſitze, in dem Herzen einer ſtolzen Frau eine heroiſche Leidenſchaft zu entflammen? Rang und Reichthum, eminente Ga¬ ben, den Muth des Ritters ohne Furcht und Tadel,
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tiefen weichen Stimme die ungariſche Volksweiſe ſang.
Wie vieles hatte ſich nicht ſeit jenem Tage geändert!
was hatte er nicht Alles gewonnen und wieder ver¬
loren ! Damals hatte ſein Herz der ſchönen Frau ſo
ſehnſuchtsvoll entgegengeſchlagen; heute erfüllte die
Erinnerung an ſie ſeine Seele mit Trauer und Schmerz.
Warum hatte ſie ihn ſo unendlich glücklich gemacht,
wenn ihre Liebe doch nur die ſouveräne Laune eines
Augenblicks war, nur ein hübſches Spiel, der Stunden
Einerlei auszufüllen, über den momentanen Bruch
ihres Verhältniſſes zu Oldenburg beſſer hinwegzukom¬
men? Hatte er das Gefühl, daß ſie, die hochgeborne
Dame, die ſtolze Ariſtokratin, ihn über kurz oder lang
doch verleugnen werde, werde verleugnen müſſen, nicht
immer mit ſich herumgetragen? hatte ſich dieſer Ge¬
danke nicht ſelbſt in den ſonnigſten Augenblicken der
Liebe wie ein düſterer Schatten zwiſchen ihn und die
reizende Frau geſtohlen? Hatte er nicht, als der Name
Oldenburg's zum erſten Mal ſein Ohr berührte, in
dieſem Manne, wie von einem Dämon getrieben,
ſeinen Nebenbuhler erkannt? Und mußte er ſich nicht
eingeſtehen, daß dieſer Mann Alles beſitze, in dem
Herzen einer ſtolzen Frau eine heroiſche Leidenſchaft
zu entflammen? Rang und Reichthum, eminente Ga¬
ben, den Muth des Ritters ohne Furcht und Tadel,
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Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 4. Berlin, 1861, S. 100. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische04_1861/110>, abgerufen am 22.12.2024.
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