Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 4. Berlin, 1861.

Bild:
<< vorherige Seite

Wald umhergeirrt, und nur eben erst auf das Zigeu¬
nerlager gestoßen zu sein. "Woher hat denn das Mäd¬
chen die goldene Kette um den Hals, die wir kürzlich
noch an Ihnen bewunderten?" fragte Georgina. --
Sie hat sie mir gestohlen, während ich, von meiner
Wanderung ermüdet, schlief; rief ich. -- So nehmen
sie ihr die Kette wieder ab. -- Ich hätte Georgina
ermorden können, aber ich hatte mich zu fest in meine
freche Lüge verstrickt; Widerruf schien unmöglich.
Xenobi kam mir zuvor. -- Hier, Herr! sagte sie, nimm,
was ich Dir gestohlen habe; und sie reichte mir das
Geschmeide. Ich werde die zitternde Hand, das von
Schmerz und Zorn entstellte Gesicht des armen
Geschöpfes nie vergessen. -- -- -- Machen wir,
daß wir nach Hause kommen! rief Herr von Cry¬
vani; es zieht ein Wetter herauf. -- Ich bestieg
das Pferd eines der Bedienten, und fort ging es
durch den dämmrigen Wald. Ich wagte nicht, mich
nach Xenobi umzublicken. Georgina, an deren Seite
ich ritt, würde mir es nie vergeben haben. Ich hatte
mir die Gunst der Dame vollständig wieder erobert,
aber um welchen Preis! Als ich am Abend des fol¬
genden Tages -- früher konnte ich mich nicht von
der Gesellschaft losmachen -- in den Wald gerannt
war, mein Unrecht wieder gut zu machen, fand ich

Wald umhergeirrt, und nur eben erſt auf das Zigeu¬
nerlager geſtoßen zu ſein. „Woher hat denn das Mäd¬
chen die goldene Kette um den Hals, die wir kürzlich
noch an Ihnen bewunderten?“ fragte Georgina. —
Sie hat ſie mir geſtohlen, während ich, von meiner
Wanderung ermüdet, ſchlief; rief ich. — So nehmen
ſie ihr die Kette wieder ab. — Ich hätte Georgina
ermorden können, aber ich hatte mich zu feſt in meine
freche Lüge verſtrickt; Widerruf ſchien unmöglich.
Xenobi kam mir zuvor. — Hier, Herr! ſagte ſie, nimm,
was ich Dir geſtohlen habe; und ſie reichte mir das
Geſchmeide. Ich werde die zitternde Hand, das von
Schmerz und Zorn entſtellte Geſicht des armen
Geſchöpfes nie vergeſſen. — — — Machen wir,
daß wir nach Hauſe kommen! rief Herr von Cry¬
vani; es zieht ein Wetter herauf. — Ich beſtieg
das Pferd eines der Bedienten, und fort ging es
durch den dämmrigen Wald. Ich wagte nicht, mich
nach Xenobi umzublicken. Georgina, an deren Seite
ich ritt, würde mir es nie vergeben haben. Ich hatte
mir die Gunſt der Dame vollſtändig wieder erobert,
aber um welchen Preis! Als ich am Abend des fol¬
genden Tages — früher konnte ich mich nicht von
der Geſellſchaft losmachen — in den Wald gerannt
war, mein Unrecht wieder gut zu machen, fand ich

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0103" n="93"/>
Wald umhergeirrt, und nur eben er&#x017F;t auf das Zigeu¬<lb/>
nerlager ge&#x017F;toßen zu &#x017F;ein. &#x201E;Woher hat denn das Mäd¬<lb/>
chen die goldene Kette um den Hals, die wir kürzlich<lb/>
noch an Ihnen bewunderten?&#x201C; fragte Georgina. &#x2014;<lb/>
Sie hat &#x017F;ie mir ge&#x017F;tohlen, während ich, von meiner<lb/>
Wanderung ermüdet, &#x017F;chlief; rief ich. &#x2014; So nehmen<lb/>
&#x017F;ie ihr die Kette wieder ab. &#x2014; Ich hätte Georgina<lb/>
ermorden können, aber ich hatte mich zu fe&#x017F;t in meine<lb/>
freche Lüge ver&#x017F;trickt; Widerruf &#x017F;chien unmöglich.<lb/>
Xenobi kam mir zuvor. &#x2014; Hier, Herr! &#x017F;agte &#x017F;ie, nimm,<lb/>
was ich Dir ge&#x017F;tohlen habe; und &#x017F;ie reichte mir das<lb/>
Ge&#x017F;chmeide. Ich werde die zitternde Hand, das von<lb/>
Schmerz und Zorn ent&#x017F;tellte Ge&#x017F;icht des armen<lb/>
Ge&#x017F;chöpfes nie verge&#x017F;&#x017F;en. &#x2014; &#x2014; &#x2014; Machen wir,<lb/>
daß wir nach Hau&#x017F;e kommen! rief Herr von Cry¬<lb/>
vani; es zieht ein Wetter herauf. &#x2014; Ich be&#x017F;tieg<lb/>
das Pferd eines der Bedienten, und fort ging es<lb/>
durch den dämmrigen Wald. Ich wagte nicht, mich<lb/>
nach Xenobi umzublicken. Georgina, an deren Seite<lb/>
ich ritt, würde mir es nie vergeben haben. Ich hatte<lb/>
mir die Gun&#x017F;t der Dame voll&#x017F;tändig wieder erobert,<lb/>
aber um welchen Preis! Als ich am Abend des fol¬<lb/>
genden Tages &#x2014; früher konnte ich mich nicht von<lb/>
der Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft losmachen &#x2014; in den Wald gerannt<lb/>
war, mein Unrecht wieder gut zu machen, fand ich<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[93/0103] Wald umhergeirrt, und nur eben erſt auf das Zigeu¬ nerlager geſtoßen zu ſein. „Woher hat denn das Mäd¬ chen die goldene Kette um den Hals, die wir kürzlich noch an Ihnen bewunderten?“ fragte Georgina. — Sie hat ſie mir geſtohlen, während ich, von meiner Wanderung ermüdet, ſchlief; rief ich. — So nehmen ſie ihr die Kette wieder ab. — Ich hätte Georgina ermorden können, aber ich hatte mich zu feſt in meine freche Lüge verſtrickt; Widerruf ſchien unmöglich. Xenobi kam mir zuvor. — Hier, Herr! ſagte ſie, nimm, was ich Dir geſtohlen habe; und ſie reichte mir das Geſchmeide. Ich werde die zitternde Hand, das von Schmerz und Zorn entſtellte Geſicht des armen Geſchöpfes nie vergeſſen. — — — Machen wir, daß wir nach Hauſe kommen! rief Herr von Cry¬ vani; es zieht ein Wetter herauf. — Ich beſtieg das Pferd eines der Bedienten, und fort ging es durch den dämmrigen Wald. Ich wagte nicht, mich nach Xenobi umzublicken. Georgina, an deren Seite ich ritt, würde mir es nie vergeben haben. Ich hatte mir die Gunſt der Dame vollſtändig wieder erobert, aber um welchen Preis! Als ich am Abend des fol¬ genden Tages — früher konnte ich mich nicht von der Geſellſchaft losmachen — in den Wald gerannt war, mein Unrecht wieder gut zu machen, fand ich

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische04_1861
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische04_1861/103
Zitationshilfe: Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 4. Berlin, 1861, S. 93. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische04_1861/103>, abgerufen am 04.05.2024.