Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 3. Berlin, 1861.

Bild:
<< vorherige Seite

diesen bevorzugten Kreisen subjectives Belieben für
Recht galt und die frivolste Laune des Augenblicks
die Richtschnur des Handelns war? Fand sich dieser
Zug nicht selbst bei denen, welche Geist und Charakter
so hoch über den gewöhnlichen Troß ihrer Standes¬
genossen erhob: bei Oldenburg und Melitta?

Und würde ihm ein Ablehnen der Herausforderung
nicht als Feigheit, nicht als ein Mangel jenes feinen
Ehrgefühls ausgelegt werden, auf welches sich der Adel
so viel zu Gute thut?

Nein, nein; er mußte den Fehdehandschuh auf¬
nehmen, wie verächtlich auch die Hand sein mochte,
die ihm denselben aus dem Dunkel heraus vor die
Füße geschleudert hatte. Er mußte den Junkern zeigen,
daß er sich nicht fürchtete, allein, ohne Freunde, waffen¬
los ihrer Rache gegenüber zu treten.

Sein Blut kochte. Er ging erregt im Zimmer
auf und ab.

"Nur zu, nur zu!" murmelte er durch die Zähne;
"ich wollte, sie stellten sich mir gegenüber, einer nach
dem andern, mein Haß würde mir die Kraft geben,
sie Alle niederzuschmettern. Es ist ganz recht so,
ganz recht! Was habe ich hier zu thun unter diesen
Wölfen? Zerrissen werden oder zerreißen -- das hätte
ich mir von vornherein sagen können.

dieſen bevorzugten Kreiſen ſubjectives Belieben für
Recht galt und die frivolſte Laune des Augenblicks
die Richtſchnur des Handelns war? Fand ſich dieſer
Zug nicht ſelbſt bei denen, welche Geiſt und Charakter
ſo hoch über den gewöhnlichen Troß ihrer Standes¬
genoſſen erhob: bei Oldenburg und Melitta?

Und würde ihm ein Ablehnen der Herausforderung
nicht als Feigheit, nicht als ein Mangel jenes feinen
Ehrgefühls ausgelegt werden, auf welches ſich der Adel
ſo viel zu Gute thut?

Nein, nein; er mußte den Fehdehandſchuh auf¬
nehmen, wie verächtlich auch die Hand ſein mochte,
die ihm denſelben aus dem Dunkel heraus vor die
Füße geſchleudert hatte. Er mußte den Junkern zeigen,
daß er ſich nicht fürchtete, allein, ohne Freunde, waffen¬
los ihrer Rache gegenüber zu treten.

Sein Blut kochte. Er ging erregt im Zimmer
auf und ab.

„Nur zu, nur zu!“ murmelte er durch die Zähne;
„ich wollte, ſie ſtellten ſich mir gegenüber, einer nach
dem andern, mein Haß würde mir die Kraft geben,
ſie Alle niederzuſchmettern. Es iſt ganz recht ſo,
ganz recht! Was habe ich hier zu thun unter dieſen
Wölfen? Zerriſſen werden oder zerreißen — das hätte
ich mir von vornherein ſagen können.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0063" n="53"/>
die&#x017F;en bevorzugten Krei&#x017F;en &#x017F;ubjectives Belieben für<lb/>
Recht galt und die frivol&#x017F;te Laune des Augenblicks<lb/>
die Richt&#x017F;chnur des Handelns war? Fand &#x017F;ich die&#x017F;er<lb/>
Zug nicht &#x017F;elb&#x017F;t bei denen, welche Gei&#x017F;t und Charakter<lb/>
&#x017F;o hoch über den gewöhnlichen Troß ihrer Standes¬<lb/>
geno&#x017F;&#x017F;en erhob: bei Oldenburg und Melitta?</p><lb/>
        <p>Und würde ihm ein Ablehnen der Herausforderung<lb/>
nicht als Feigheit, nicht als ein Mangel jenes feinen<lb/>
Ehrgefühls ausgelegt werden, auf welches &#x017F;ich der Adel<lb/>
&#x017F;o viel zu Gute thut?</p><lb/>
        <p>Nein, nein; er mußte den Fehdehand&#x017F;chuh auf¬<lb/>
nehmen, wie verächtlich auch die Hand &#x017F;ein mochte,<lb/>
die ihm den&#x017F;elben aus dem Dunkel heraus vor die<lb/>
Füße ge&#x017F;chleudert hatte. Er mußte den Junkern zeigen,<lb/>
daß er &#x017F;ich nicht fürchtete, allein, ohne Freunde, waffen¬<lb/>
los ihrer Rache gegenüber zu treten.</p><lb/>
        <p>Sein Blut kochte. Er ging erregt im Zimmer<lb/>
auf und ab.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Nur zu, nur zu!&#x201C; murmelte er durch die Zähne;<lb/>
&#x201E;ich wollte, &#x017F;ie &#x017F;tellten &#x017F;ich mir gegenüber, einer nach<lb/>
dem andern, mein Haß würde mir die Kraft geben,<lb/>
&#x017F;ie Alle niederzu&#x017F;chmettern. Es i&#x017F;t ganz recht &#x017F;o,<lb/>
ganz recht! Was habe ich hier zu thun unter die&#x017F;en<lb/>
Wölfen? Zerri&#x017F;&#x017F;en werden oder zerreißen &#x2014; das hätte<lb/>
ich mir von vornherein &#x017F;agen können.</p><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[53/0063] dieſen bevorzugten Kreiſen ſubjectives Belieben für Recht galt und die frivolſte Laune des Augenblicks die Richtſchnur des Handelns war? Fand ſich dieſer Zug nicht ſelbſt bei denen, welche Geiſt und Charakter ſo hoch über den gewöhnlichen Troß ihrer Standes¬ genoſſen erhob: bei Oldenburg und Melitta? Und würde ihm ein Ablehnen der Herausforderung nicht als Feigheit, nicht als ein Mangel jenes feinen Ehrgefühls ausgelegt werden, auf welches ſich der Adel ſo viel zu Gute thut? Nein, nein; er mußte den Fehdehandſchuh auf¬ nehmen, wie verächtlich auch die Hand ſein mochte, die ihm denſelben aus dem Dunkel heraus vor die Füße geſchleudert hatte. Er mußte den Junkern zeigen, daß er ſich nicht fürchtete, allein, ohne Freunde, waffen¬ los ihrer Rache gegenüber zu treten. Sein Blut kochte. Er ging erregt im Zimmer auf und ab. „Nur zu, nur zu!“ murmelte er durch die Zähne; „ich wollte, ſie ſtellten ſich mir gegenüber, einer nach dem andern, mein Haß würde mir die Kraft geben, ſie Alle niederzuſchmettern. Es iſt ganz recht ſo, ganz recht! Was habe ich hier zu thun unter dieſen Wölfen? Zerriſſen werden oder zerreißen — das hätte ich mir von vornherein ſagen können.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische03_1861
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische03_1861/63
Zitationshilfe: Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 3. Berlin, 1861, S. 53. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische03_1861/63>, abgerufen am 06.05.2024.